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Sebastian (Mark Waschke) besucht Oskar (Stipe-Erceg) am CERN in Genf
Foto: Presse

„Ein sehr philosophischer Ansatz“

24. Februar 2012

Claudia Lehmann im Interview – Gespräch zum Film 02/12

choices: Frau Lehmann, Sie sind promovierte Physikerin. Wie kommt man von der Physik zum Film?
Claudia Lehmann:
Ich habe noch während des Studiums in Hamburg angefangen am Theater zu arbeiten – erst im Café, dann als Beleuchterin. Da habe ich das erste Mal Darstellungsluft geschnuppert und fand das total spannend. Über Kontakte habe ich dann bei Kurzfilmen als Beleuchterin gearbeitet. Danach habe ich ein Regiepraktikum gemacht und mein Vater hat mir eine Videokamera geschenkt, mit der ich Theaterarbeiten von Nicolas Stemann – für den ich jetzt immer noch Videos mache – gefilmt habe. Das war alles learning by doing. Mit der Zeit kam der Wunsch auf, etwas Eigenes zu machen. Während meiner Promotion habe ich gesehen, dass man sich an der Hamburg Media School bei Hark Bohm für Regie bewerben kann und kurzerhand habe ich eine Kafka-Kurzgeschichte verfilmt. Manuela Stehr war im zweiten Jahr unsere Dozentin für Produktion. Als sie meinen Abschlussfilm gesehen hat, wollte sie unbedingt mit mir zusammenarbeiten. Daraus ist dann „Schilf“ entstanden.

Claudia Lehmann
Foto: X-Verleih
Claudia Lehmann studierte Physik in Erlangen und Hamburg und promovierte 2004 in Theoretischer Elementarteilchenphysik. Anschließend absolvierte sie ein Aufbaustudium an der Hamburg Media School.  Seit 2001 arbeitet sie auch als Videokünstlerin für den Theaterregisseur Nicolas Stemann.

Der Protagonist Sebastian (Mark Waschke) ist überzeugt von der „Viele-Welten-Theorie“, die auch der Grundgedanke des Films ist. Was besagt sie?
Die „Viele-Welten-Theorie“ wurde zur Interpretation der Quantenmechanik aufgestellt. Die Quantenmechanik hat ein Problem, nämlich, dass sie nur für besonders kleine Welten, also im Mikro-Kosmos funktioniert. Ein Beispiel ist Schrödingers Katze als Gedankenexperiment. Die Katze ist zusammen mit einer Mordmaschine in einem Karton eingesperrt, die sie über kurz oder lang töten kann. Der Zustand (des Systems: Mordmaschine und Katze) ist eine Überlagerung der Zustände „die Mordmaschine hat gemordet und die Katze ist tot“ und „die Mordmaschine hat nicht gemordet und die Katze ist lebendig“. Nun kommt der Beobachter (in unserer makroskopischen Welt) ins Spiel: Er macht den Karton auf und stellt fest, dass die Katze entweder tot ist oder lebendig, beides kann sie in unserem Weltverständnis nicht sein.

Die Idee der Paralleluniversen ist, dass selbst wenn ich beobachte, dass die Katze tot ist, auch noch der Zustand, bei dem sie lebendig ist, weiterhin existiert. Uns selbst gibt es also noch in einem Universum, in dem wir den jeweils anderen Zustand beobachten. Die Parallelweltentheorie besagt im Prinzip, dass sch in jedem Moment der Entscheidung eine Welt abspaltet. Letztlich versucht Sebastian im Film die Existenz dieser anderen Welten zu beweisen. Dass es solche Welten gibt, ist natürlich auch ein sehr philosophischer Ansatz.

Gab es eine Zusammenarbeit mit Juli Zeh beim Drehbuch?
Zunächst hat Manuela Stehr, die Produzentin, Juli Zeh getroffen: Da wurde bereits klar, dass Juli nicht am Drehbuch mitschreiben wollte. Als wir uns dann kennengelernt haben, hatte sie die ersten Drehbuchfassungen gelesen und natürlich auch gemerkt, dass im Film vieles sehr anders werden soll als im Roman. Sie hat mir da alle Freiheiten gelassen und mich bestärkt, meinem persönlichen Ansatz zu folgen. Das hatte wirklich Größe. Ich wollte den Geist der Physik aus der Vorlage behalten, auch wenn ich ihn auf einer dramaturgischen Ebene ganz anders behandelt habe als sie. Wenn ich ihr eine Drehbuchfassung geschickt habe, gab es immer konstruktive Kritik. Kurz: Es war eine ganz tolle Zusammenarbeit.

Schilf ist in der Romanvorlage ein Kommissar mit Hirntumor. Im Film erscheint er als eine andere Figur. Warum haben Sie die titelgebende Figur so verändert?
Für mich hatte diese Schilf-Figur von Anfang an eine etwas andere Funktion in der Wahrnehmung. Ich sah sie mehr mit einer physikalischen Idee verbunden. Schilf ist aber in erster Linie eine mysteriöse Figur, die Probleme hat, sich zu erinnern, – was übrigens auch bei Juli Zeh schon so angelegt war. Den Kommissar mit Hirntumor gibt es ja nun auch schon im Tatort aus Hessen.

Für einen Thriller ist der Film sehr hell, es gibt fast nur Tageslichtszenen und es gibt keine Special Effects. Warum?
Mir war immer wichtig, dass der Film fast normal ist. Dass er in der Welt spielt, in der wir leben. Und ich glaube, es passiert ganz viel in der Assoziation. Und es ist nicht so, dass man durch einen dunklen Gang geht und dann ist man plötzlich in einer anderen Welt. Der Grundgedanke des Films hat einfach was mit der Welt und der Aura zu tun, in der wir sind, die uns umgibt. Auch die Gleichzeitigkeit von Welten passiert nicht in einer dunklen Ecke. Bei allen physikalischen und philosophischen Aspekten geht es um menschliche Beziehungen, auf die das Ganze heruntergebrochen wird.

Interview: Inga Selck

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