Kurt Weill, berühmt durch seine Musik für Berthold Brechts Dreigroschenoper, versteht „Street Scene“ als sein musikdramatisches Hauptwerk, das man jedoch im Gegensatz zu dem Dauerbrenner aus den Zeiten der Weimarer Republik sehr viel seltener auf den Spielplänen findet. Seit seiner Emigration in die USA 1935 hat Weill den Traum, eine „amerikanische Oper“ zu schreiben und sein Vorbild hierfür ist „Porgy und Bess“ von George Gershwin. Das Leben einfacher Menschen, sozial am Rand der Gesellschaft stehend, interessiert Weill, und eine ideale Vorlage findet er in Elmer Rices gleichnamigen und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetem Theaterstück, das er noch vor seiner Emigration in Berlin gesehen hatte.
Die Handlung des Stückes setzt sich aus kleinen Szenen zusammen, in deren Mittelpunkt die sich anbahnende Liebesgeschichte von Rose und Sam steht. Dazu gegenläufig verläuft die zerrüttete Ehe von Roses Eltern, die mit dem Eifersuchtsmord des Vaters an Roses Mutter endet. Rose zieht daraus ihre Konsequenz: Sie will fortgehen und sich (noch) nicht fest an Sam binden, obwohl sie ihn liebt. Der Hauptstrang der Handlung ist durchbrochen von Alltagsszenen der von der sommerlichen Hitze geplagten Nachbarschaft: Tratschweiber tuscheln über das Liebesverhältnis von Roses Mutter mit dem Milchmann, ein werdender Vater, genervt von den Beschwerden seiner schwangeren Frau, beklagt die Strapazen der angehenden Vaterschaft, ein Eisverkäufer kommt vorbei und zieht die Aufmerksamkeit auf sich, Schülerinnen kehren von ihrer Abschlussfeier heim. Nach dem Mord kehrt bald wieder Alltag ein, die Tratschweiber klagen wie zuvor über die Hitze.
Weill stößt in Amerika auf „ein höchst aufnahmebereites und gefühlsfähiges Publikum, mit großer Sensibilität für Musik“, wie er schreibt. Für ihn soll eine amerikanische Oper „Teil des lebendigen Theaters sein und alle nötigen Bestandteile einer guten Show haben“. Gerade dieser künstlerische Ansatz, der sich offen für Entertainment ausspricht, erweckt in den 50er Jahren bei der Kunstkritik in Deutschland heftige Ablehnung, maßgeblich vertreten durch Th. W. Adorno, der Weill in aller Schärfe vorwirft, sich als Künstler an die amerikanische Kulturindustrie und ihrer Konsumhaltung zu verkaufen. Diese moralinsaure Verurteilung verlor in Deutschland erst ein halbes Jahrhundert später an Relevanz, und seit den späten 90ern wird das Stück mit Recht als Entdeckung gefeiert.
Weill geht es um eine „wirkliche Verbindung von Drama und Musik, in der das Singen auf natürliche Weise dort einsetzt, wo das Sprechen aufhört“. Die Übergänge vom Sprechen zum Singen sind fließend, viele Dialoge sind wie im Film mit Musik unterlegt. Die musikalische Sprache ist vielschichtig, populärer Broadway-Stil steht neben Elementen der europäischen Oper, Jazz-Rhythmen neben lyrischem Espressivo. Lokalkolorit verleiht das Liedzitat der Schülerinnen „Wrapped in a ribbon“, das auch als Metapher für die Gesamtsituation verstanden werden kann.
So wie die Einheit von Zeit, Ort und Handlung das Nebeneinander unterschiedlichster Lebenswege im Lower East End bündelt, fügt Weill in seiner kompositorischen Gesamstruktur die Polystilistik zu einer Einheit in der Verschiedenheit – kompositorische Diversität als Ausdruck amerikanischer Kultur.
Wo zu sehen in NRW?
Oper Köln: 28.4.(P), 30.4., 2., 5., 8., 10., 12., 16.5. | 0221 221 284 00
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