Das Grundgesetz wurde verabschiedet auch als Antwort auf einen Wüterich, der alles, was es gab, in Grund und Boden trat. Damals war die Lage klar wie Kloßbrühe: Niemand hatte ein Recht auf irgendwas. Einer durfte alles. Heute ist alles komplizierter. Nun wird das GG 70 Jahre alt. Anlässlich dieses runden Geburtstages haben wir eine Überraschung vorbereitet. Schließlich muss man die Feste feiern, wie sie fallen. Zugegebenermaßen ist das GG kein Frischfleisch mehr. Seine Haare werden schütter. Auch neigt es gelegentlich dazu, sich selber zu vergessen. Aber angesichts der Demenz, an der auch zahlreiche Akteure leiden, die das GG konstant mit Füßen treten, macht das nichts. In den opulenten Präsentkorb, der dem GG in die Hand gedrückt wird – ob es möchte oder nicht, muss deshalb unbedingt eine Wundheilsalbe für all die Hämatome, die es im Laufe der Zeit kassiert hat. Und ein aufmunternder Rätselspaß gegen Demenz darf auch nicht fehlen.
Eigentlich will das GG nicht feiern, wie es piepsend betont, aber das ist wurscht. Was ist schon Freiheit? Kurzerhand wird es zu seinem Geburtstag gezwungen. Im Grunde genommen, ist es ja auch kein Mensch. Und selbst wenn, wäre das auch egal. Freilich findet das Fest im Freistaat Bayern statt. Schließlich wird ja die Freiheit gefeiert. Und wo fließt so viel Freibier wie hier? „Eigentum verpflichtet“, wurde im Grundgesetz verankert. Zugleich soll sein Gebrauch dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Während im Hintergrund Amnesty International auf einer kargen Wand Bilder verfolgter und toter Menschen zeigt, entfacht eine Schlacht am Buffet: „Herr Gott Sackerl, wem gehört‘s die Weischwurscht? Sollen wir sie zerhackerln?“ „Ich will deine Wurst nicht. Ich bin Vegetarier.“ Und wer besitzt das GG? Fortan wird an jenem herumgezerrt, bis es in der Mitte entzweit und mit dem Wort „Grundgütiger“ durch die Luft saust, bevor es in den Schlund des bayerischen Ministerpräsidenten hinabpoltert. Nach einem Wiederauskäuen kann das GG im Grunde genommen wieder funktionieren wie zuvor.
Überhaupt soll sich das GG mal nicht so anstellen. In punkto Sexualität beispielsweise macht Deutschland enorme Fortschritte, gelang, könnte man sagen, die Wende vom Dritten Reich zum dritten Geschlecht. Doch, wie sich bei der illustren Festivität zeigt, wird dieses noch lange nicht von allen Anwesenden toleriert. Während die Grünen fleißig Toiletten für dritte Geschlechter öffnen, sorgt sich die Bildungsministerin um das Wohl von Kindern in Regenbogenfamilien. Das GG wird zwischen den Fronten hin- und hergeschleudert. Mal wird sein Gesicht in bunte Hennafarbe getunkt. Dann erscheint es auf einer Kampagne gegen Inzest. Auch werden ein paar Falten auf seinem Gesicht wegretuschiert und es sodann in das eines Kindes hineingequetscht. Dazu der Schriftzug: „Hilfe, Mutti und Vati! Mir ist übel!“ Als Höhepunkt witzelt eine Politikerin, die die Veranstaltung mit der Fassenacht verwechselt hat, über Männer, die ob der Öffnung sexueller Grenzen nicht mehr wissen, ob sie im Stehen oder im Sitzen pinkeln sollen. Doch die Grünen wissen zu kontern: Da sich das Gesetz sich durch seinen neutralen Artikel besonders für eine Veranschaulichung eignet, muss es alsbald bei „Sesam öffne dich!“ mitspielen. Dazu wird sein Gesicht in eine recycelte Vulva hineingepresst, um neue sexuelle Gebiete zu erforschen. Wird das GG die richtige Formel nennen und der Samen als Speiseöl aus der Vulva tropfen?
Im Hintergrund wacht indessen wie in einem Beckettschen Endspiel eine schwerst-depressive Bundeswehr. Ob der spektakulären Ereignisse weiß sie nicht, ob sie eher im Ausland oder im Inland eingreifen soll. Wobei sie das im Ausland ja gar nicht mehr soll, obwohl Waffen dorthin geschafft werden. Da sie sich in einem narkose-ähnlichen Zustand befindet, hört jene die zaghaften Hilferufe des GGs nicht, das sich noch einmal aufzubäumen versucht.
Das Grundgesetz hat heute wieder ein paar Haare gelassen. Es wurde mehrfach begrapscht, obwohl die Würde des Menschen unantastbar ist. Aber eben nur die des Menschen – wenn überhaupt.
DIE VERFASSUNG DER DEUTSCHEN – Aktiv im Thema
geschicktgendern.de | Das Online-Genderwörterbuch zeigt gerechte Formulierungsmöglichkeiten neben Gendersternchen, Binnen-I & Co.
tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel | Der Queerspiegel ist der queere Blog des Tagesspiegels und damit Teil der einzigen Tageszeitung, die sich täglich mit dem Thema beschäftigt.
Gendertreff | Die Plattform für Trans-Personen, Angehörige und Interessierte bietet Erfahrungsberichte und Informationen zu Rechten und Selbsthilfetreffen.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Fest, nicht starr
Intro - Grundgesetz
Permanenter Verfassungsbruch
Superreiche und Politik pfeifen auf Artikel 14
Die Utopie leben
Nicht jeder Staat braucht eine Armee – Europa-Vorbild: Island
„Eigentümer üben übermäßigen Einfluss aus“
Grünen-Politiker Sven Giegold über Eigentum und Gemeinwohl
Spielend ins Verderben
Wie Personalmanagement das Leben neu definierte – Glosse
Ode ohne Freude
Gedanken zur EU – Glosse
Sinnenbaden im Meer
Ode an das Meer – Glosse
Blutige Spiele und echte Wunden
Gewalt in den Medien: Ventil und Angstkatalysator – Glosse
Gib mir Tiernamen!
Wie sich die Natur schwuppdiwupp retten lässt – Glosse
Nur die Lokomotive
Verloren zwischen Bett- und Lebensgeschichten – Glosse
Der heimliche Sieg des Kapitalismus
Wie wir vergessen haben, warum wir Karriere machen wollen – Glosse
Im Sturm der Ignoranz
Eine Geschichte mit tödlichem Ausgang – Glosse
Märchenspiegel 2.0
Vom Streben nach konformer Schönheit in feministischen Zeiten – Glosse
Von der Barbarei der Debatte
Natürlich kann man vermeiden, dass irgendwer Dinge hört, gegen die er allergisch ist – Glosse
Staatsmacht Schicht im Schacht
Mögen Körperflüssigkeiten den Parlamentarismus retten – Glosse
Neidischheit und Geiz und Reichheit
Die Reichen sind geizig und die Armen neidisch. Klare Sache? – Glosse
Der Beverly Hüls Cop
Warum Gewaltenteilung, wenn es nur eine Gewalt braucht? – Glosse
Gemeinsam einsam
Die Kunst, nebeneinander zu sitzen und Welten entfernt zu sein – Glosse
Besser erzählt
Vom verborgenen Kollektiv, das sich die Zukunft ausdenkt – Glosse
Die Große Freiheit
Menschen und die Grenzen des Wahnsinns – Glosse
Held der Arbeit
Wer sehr hart arbeitet, wird reich! – Glosse
Freiheitskampf zwischen LEDs
Widerstand in einer fast wirklichen Welt – Glosse
Zu Fuß zur Gerechtigkeit
Von Bahnen, die nicht fahren – Glosse
Glück auf Klick
Von digitalen Keksen und echter Pasta – Glosse
Scheiße, ich blute!
Ist die Geschichte der Menstruation voller Missverständnisse? – Glosse