Es ist die größte Show seit dem Abstieg des linearen Fernsehens in die Bedeutungslosigkeit: German Obstacle – der härteste Parcours Europas. Auf der einen Seite, hier in Deutschland, suchen wir dringend nach Fachkräften und Menschen, die die Rente einer überalterten Gesellschaft zahlen. Auf der anderen Seite, jenseits von Oder und Alpen, drängen Krieg, Klima und Kummer immer mehr Menschen aus ihren Heimatländern. Politik, Branchen- und Berufsverbände und die Gesellschaft haben sich zusammengetan, um den Weg der Bewerber zu einem vollwertigen Bürger so hart wie möglich zu gestalten. „Ninja Warrior“ kann einpacken – hier kommt „German Obstacle“!
Am Anfang stehen die Trainingscamps. Seien es die Arbeitslosigkeits-Askese-Aktionen, Minenfeld-Hüpfspiele oder religiöse Verfolg… religiöses Fangenspielen, jeder Teilnehmer bereitet sich auf seine Weise vor.
Spiel um dein Leben
Dann kommt der im Grunde härteste und gefährlichste Teil, der Vorentscheid. Tausende Kilometer zu Fuß, entweder mit schwerem Gepäck oder der Last, sein gesamtes Hab und Gut, sein Herz und Liebe zurückgelassen zu haben. Manche Kandidaten müssen auch mit einem Ponton das große Becken, genannt Mittelmeer, überqueren. Huiuiui, keine leichte Aufgabe – beide Wege verlangen den Glücksrittern alles ab, manchmal sogar das Leben! Doch es ist halt wie die Eurovision-Vorrunde: Das spielt sich diffus irgendwo da draußen ab, übertragen wird es höchstens auf irgendwelchen Nischensendern; das interessiert uns alles nicht. Springen wir also nach einer kleinen Werbeeinblendung unserer Sponsoren (erlesene Rüstungs-, Agrar- und Lebensmittelkonzerne) zum Hindernisparcours, den wir bei uns aufgebaut haben.
Da ist zuerst die Hinderniswand der Bürokratie. Hier springen unsere potenziellen Fachkräfte heldenhaft über Zeugnisanerkennungen und seitenlange Formulare – natürlich alles in Beamtendeutsch, einer Sprache, vor der selbst gebürtige Hannoveraner stehen wie ein Ochse in der Boulderhalle. Sprachkurse sehen auf den ersten Blick aus wie Kletterhilfen, doch die mindere Qualität lässt sie bröckeln, sobald man sie zu greifen kriegt. Das Sprachzertifikat hängt so hoch … da stürzen die Teilnehmer auch schon reihenweise ab. Von der Tribüne schauen die Behörden stoisch zu, wie sie sich wieder aufrappeln.
Scharfkantige Integration
Es folgt die Brücke der Unwägbarkeit, die geknüpft ist aus befristeten Aufenthaltsgenehmigungen. Wer es bis hierhin geschafft hat, ist oft gut gerüstet. Viele Jahre im Land, durchgehend arbeitstätig und mehr Steuern gezahlt als im Heimatland jemals verdient. Diese Brücke sollte doch ein Klacks sein. Denkste! Oft ist der Pass genauso weit weg wie die Glanzzeiten des VfL Bochum. Und wehe, die Genehmigung wird nicht rechtzeitig verlängert – dann stürzt man ins Wasser der Illegalität.
Highlight des Parcours: der Sozial-Schießstand. Aus unterschiedlichen Richtungen kommen die „Wände der Integration“ mit komplizierten, scharfkantigen Silhouetten auf die Migranten zugefahren, durch die sie sich zwängen müssen. Das geht nur, wenn sie ihre Traditionen, ja sogar ihre ganze Persönlichkeit anpassen. Oft hilft es auch, Lebensfreude und Humor abzulegen, um besser den deutschen Erwartungen zu entsprechen. Als wäre das nicht knifflig genug, müssen sie gleichzeitig dem Kreuzfeuer der widersprüchlichen Vorurteile ausweichen („Die klauen uns die Jobs!“ – „Die wollen gar nicht arbeiten!“).
Erst überleben, dann warten
Die Kandidaten sind zäh. Einige wenige drücken tatsächlich im Zielbereich den großen roten Buzzer. Ein Kärtchen flattert von der Decke. Es ist eine Wartenummer. Schließlich öffnet sich die beige-grüne Tür und ein Sachbearbeiter teilt mit: „Vielen Dank, dass Sie mitgespielt haben. Wir prüfen Ihren deutschen Pass – Bearbeitungszeit: unbestimmt.“
Kritische Beobachter fragen: „Warum herrscht immer noch Fachkräftemangel? Warum klappt das mit der Integration nicht?“ Vielleicht liegt es daran, dass ein Ninja-Warrior-Parcours nicht fürs Gewinnen ausgelegt ist.
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Gegen welche Regel?
Intro – Flucht und Segen
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 1: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 1: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
Ein neues Leben aufbauen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Verein Mosaik Köln Mülheim e.V. arbeitet mit und für Geflüchtete
Schulenbremse
Teil 2: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 2: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
Bildung für Benachteiligte
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 3: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 3: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
Ankommen auch im Beruf
Teil 3: Lokale Initiativen – Bildungsangebote für Geflüchtete und Zugewanderte bei der GESA
Das Recht jedes Menschen
Die Flüchtlings-NGO Aditus Foundation auf Malta – Europa-Vorbild Malta
Schlechte Zeiten: Gute Zeiten
Die Macht der Nostalgie – Glosse
Spielend ins Verderben
Wie Personalmanagement das Leben neu definierte – Glosse
Ode ohne Freude
Gedanken zur EU – Glosse
Sinnenbaden im Meer
Ode an das Meer – Glosse
Blutige Spiele und echte Wunden
Gewalt in den Medien: Ventil und Angstkatalysator – Glosse
Gib mir Tiernamen!
Wie sich die Natur schwuppdiwupp retten lässt – Glosse
Nur die Lokomotive
Verloren zwischen Bett- und Lebensgeschichten – Glosse
Der heimliche Sieg des Kapitalismus
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Im Sturm der Ignoranz
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Märchenspiegel 2.0
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Der Beverly Hüls Cop
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