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Sensibilisieren, fördern und orientieren
Foto: wavebreak3 / Adobe Stock

Schulenbremse

19. Dezember 2024

Teil 2: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat

Laut AfD sind die Migranten ja an allem Schuld. Laut CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sind Immigranten immerhin bloß an immer mehr schuld. „Seht euch die Schulen an, schaut euch die Wohnraumsituation an, schaut euch die Universitäten an, schaut euch die Krankenhäuser an, schaut euch die Arztpraxen an, schaut euch an, was das für Konsequenzen hat, wenn ein Land durch Migration überfordert wird“, wird eine Rede von Merz im September 2024 auf X zitiert. Und auch wenn der alte Mann an selber Stelle hervorhebt, dass die „Mehrheit, die zu uns kommen und die schon lange hier sind, (…) gut integriert“ sind, sei an dieser Stelle angemerkt, dass unser Wohlstandsland im Hinblick auf Bildungsstätten oder (Zahn-)Arztpraxen schon überfordert war, lange bevor Kanzlerin Merkel 2015 postulierte: „Wir schaffen das“. 

Recht auf Bildung 

Nein, die Bildungskrise ist mindestens so alt wie der Pisa-Schock von 2001, der unserer stolzen Nation vor Augen hielt, dass unsere Kinder in Lesen, Mathe und Naturwissenschaften unterm OECD-Durchschnitt liegen und nur rudimentäre Lesekompetenzen vorweisen. Ein Zustand, an dem bis heute offensichtlich keine (Landes-)Regierung nachhaltig etwas zu ändern gewillt ist: Deutschland steht unvermindert auf der Schulenbremse! Das hat vielerlei Gründe. Zum Beispiel, dass gute Bildung eng gekoppelt ist an die soziale Herkunft, sprich: Dein Bildungsgrad hängt davon ab, wie wohlhabend deine Eltern sind. Das Recht auf Bildung und in der Folge die Teilhabe am Wohlstand sind ungerecht verteilt. Die Bevölkerung weiß das längst, und sie bekommt auch mit, wohin derlei Bildungsmisere führt, beispielsweise zu eklatantem Fachkräftemangel, der längst auch ins Bildungssystem einzieht, was wiederum die Lehrer:innen besonders herausfordert, den Job noch unattraktiver macht und so weiter. Nächstes Problem: Bildung ist Ländersache, und dass die Länder die Bildungskrise seit Jahrzehnten nicht gelöst kriegen, sollte Konsequenzen haben. Immerhin wird mit dem 2024 von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Startchancenpaket endlich der alt-unbewährte Königsteiner Schlüssel gekippt, der viel zu lang vor allem Bildungseinrichtungen in reicheren Bundesländern förderte.

Vom Staat kaputtgespart

Das Bildungssystem ist also bereits an sich „überfordert“ – Migration ist bloß eine zusätzliche Herausforderung, und das auch nur, weil unser Migrationsland seit 60 Jahren nicht ausreichend auf Migration ausgerichtet ist. Hierzulande gilt das Recht auf Bildung auch für Kinder mit Migrationsgeschichte, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Nicht zuletzt, weil der Schulbesuch und soziale Kontakte wesentliche Bestandteile der Integration darstellen. Nun tut es sich, nanu, nicht damit, die Kinder einfach mit in die Klassenzimmer zu setzen. Der Klassenverband muss interkulturell sensibilisiert werden, Lehrkräfte gehören entsprechend qualifiziert, die Kinder müssen (außerschulisch) sprachlich gefördert und ihre Eltern darin unterstützt werden, sich in unserem Bildungssystem zu orientieren. Das alles geschieht bereits, aber längst nicht ausreichend. Vom Staat kaputtgespart. Das weiß auch Friedrich Merz, der die „Migration als Scheinproblem“ vorschiebt, wie es die Ökonomin Isabella Weber im Podcast „Lage der Nation“ vom 7. November beschreibt. Und deshalb sei seine Aussage noch einmal verkürzt aus dem Zusammenhang gerissen, aber den tatsächlichen Verhältnissen angepasst zitiert: „Seht euch die Schulen an, schaut euch die Wohnraumsituation an, schaut euch die Universitäten an, schaut euch die Krankenhäuser an, schaut euch die Arztpraxen an“. Punkt.

Hartmut Ernst

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