Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
31 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12 13

12.598 Beiträge zu
3.823 Filmen im Forum

Glückstreffer sind keine Übungssache
Foto: Netfalls / Adobe Stock

Gute Zeiten für Verführer

27. März 2025

Teil 2: Leitartikel – Das Spiel mit dem Glücksspiel

Zu einem Rausch bedarf es nicht zwingend Drogen. Heutzutage surfen die halben USA bei klarem Verstand in einen aus Lügen und Verschwörungserzählungen genährten Trip namens „Be Great Again“. Auch hierzulande schürt die AfD einen Rauschzustand, den sie geschickt durch künstlich geschürte Ängste auslegt und sich so als letzte verbliebene Partei im deutschen Bundestag eine – euphorisierte und zugleich abgestumpfte – Stammwählerschaft bewahrt. Eine Stammwählerschaft, die sich abhängig macht von einem vermeintlichen Erlöser und die gedanklich extrem eingenommen ist. Die die Konsequenz des eigenen impulsiven Handelns übersieht und spätestens in der Wahlkabine die situative Handlungskontrolle verliert. Die Droge der AfD ist ihre Rhetorik. Ihre Substanz: Hass. Ihre Wirkung: Angst. Ihr Angebot: Erlösungsversprechen aus geschürten Ängsten. Das blaue Rauschen.

Poker der Langeweile

Den rauschmittelfreien Rausch bis in den Tod, den Kontrollverlust, die vermeintliche Erlösung, die gedankliche Eingenommenheit und den Verlust situativer Handlungskontrolle bedingen derweil nicht nur politischer Populismus oder fundamentalistische Religion. Bis zurück in die Antike reicht auch der Arm einer anderen Spielart: der des Glücksspiels. Dabei ist hier schon der Name Bluff: Glücksspiel verspricht Glück, beschert aber den meisten Unglück. Glücksspiel ist Unglücksspiel, und es sucht sich seine Opfer bevorzugt unter denen, die ohnehin bereits vom Pech verfolgt sind. Wenn James Bond hochglanzgepinselt im Casino am Pokertisch sitzt, dann spiegelt das Glanz und Brachialgewinn. Tatsächlich geht es in derlei elitären Gefilden um nichts, denn die Klientel hat bereits alles, wenn sie gelangweilt ihre Jetons setzt. Der Reiz beim Glücksspiel liegt derweil darin, etwas zu riskieren. Adrenalin. Weil es um etwas geht. Um alles geht es dann auch viel zu oft am Glücksspielautomat in den Spielhallen oder an Geldspielautomaten in Schankwirtschaft, an Wettannahmestelle und im Online-Casino. Der Einstig in die Unglücksspirale ist dabei noch risikoarm und vielversprechend. Für gewöhnlich erfolgt aus einer ersten Schnupperphase bei ansteigender Risikobereitschaft eine wachsende Gewinnerwartung. Irgendwann beherrscht das Spiel die Gedanken auch jenseits des Spiels. Unruhe, Angespanntheit, Niedergeschlagenheit. Vernachlässigung von Familie und Freundeskreis. Lügen. Kontrollverlust. Die letzte Hoffnung: „All in!“ Schulden. Scheidung. Jobverlust. Und immer wieder: Suizid. So die Worst-Case-Spirale, die viele trifft: Die Glücksspielindustrie verdankt einen hohen Anteil ihres Umsatzes Menschen mit problematischem Glücksspielverhalten. Und die werden von Vorbildern wie Ronaldo, Schweinsteiger und Podolski von den Plakatwänden herunter grienend dazu angeheizt.

Lobbyglück

Die Politik weiß davon und sollte Bürger:innen schützen. Da derlei Angelegenheit Ländersache ist, finden sich nur schwerlich übergreifende Lösungen. Und die Politik verdient ausgesprochen gut mit am Pech der Verlierer: 5,2 Milliarden Euro aus Steuern und Abgaben im Jahr 2021. Da kann man sich in etwa ausmalen, was hier an Gewinn dahintersteckt. Entsprechend wacker leistet die Glücksspielindustrie über Lobbyarbeit Widerstand. Kein Wunder, dass der neue Glücksspielstaatsvertrag von 2021 vor allem Anbieterinteressen bedient – und medial breit aufgestellt werben darf für das schnelle Geld mit dem Unglück der ohnehin Glücklosen. Glücklose, von denen so manche AfD wählen und die auch der AfD völlig egal sind. Gute Zeiten für Verführer.

Hartmut Ernst

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Ein Minecraft Film

Lesen Sie dazu auch:

Zum Wohl!
Intro – Rausch im Glück

Lebensqualität gegen Abwärtsspirale
Teil 1: Leitartikel – Drogensucht ist kein Einzelschicksal, sie hat gesellschaftliche Ursachen

„Wir haben das Recht auf Rausch“
Teil 1: Interview – Mediziner Gernot Rücker über die Legalisierung von Drogen

Zwischen Blüte und Bürokratie
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Cannabas-Club e.V. und der neue Umgang mit Cannabis

„Ich vermisse die Stimme der Betroffenen“
Teil 2: Interview – Psychologe Tobias Hayer über Glücksspielsucht

Suchthilfe aus der Ferne
Teil 2: Lokale Initiativen – Online-Projekt des Evangelischen Blauen Kreuzes in NRW hilft Abhängigen

Konsum außer Kontrolle
Teil 3: Leitartikel – Was uns zum ständigen Kaufen treibt

„Dann übernimmt das Lusthirn“
Teil 3: Interview – Psychotherapeutin Nadine Farronato über Kaufsucht

Teufelskreis im virtuellen Warenkorb
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Caritas-Suchthilfe hilt auch bei Kaufsucht weiter

Ausgespielt!
Spielautomaten aus Kleinstädten verbannt – Europa-Vorbild: Rumänien

German Normalo
Zwischen Selbstoptimierung und Abhängigkeit – Glosse

Leitartikel

HINWEIS