War es jemals einfacher, in Erinnerungen zu schwelgen, als heutzutage? Streaming-Dienste versorgen uns mit Filmklassikern von „Singin‘ in the Rain“ bis „Good Bye, Lenin!“ oder mit der Musik aus Jugendtagen. Ob originale „My Little Pony“-Figürchen aus den 80ern oder Monchhichis, wer auf der Suche nach dem Spielzeug seiner Kindheit ist, muss nicht mehr mühsam Trödelmärkte abklappern, sondern wird in Minuten auf Plattformen wie Kleinanzeigen fündig. Der Einkauf in die Vergangenheit – möglich gemacht ausgerechnet durch den Plattformkapitalismus, der unsere Gegenwart plagt.
Da lassen besorgte Stimmen natürlich nicht lange auf sich warten: Hollywood macht nur noch Marvel oder Remake, und irgendwer zahlt ja die horrenden Kinopreise. 50 Jahre Hip Hop, seitdem keine ähnlich erfolgreichen Innovationen mehr in Sachen Musikrebellion und Subkultur, schlimm. Und warum hat die Jugend jetzt eigentlich wieder dieselben Klamotten an wie 2003? Alles wiedergekäut. So geht’s doch nicht voran!
Flucht in den Trend
Dann gibt es Leute, die sich nicht damit anfreunden können, ihren eigenen Programmdirektor spielen zu müssen. Sehnsüchtig denken sie an die Ära der drei Fernsehsender zurück oder können sich ob des endlosen Angebots kaum für einen bestimmten Radio-Podcast entscheiden. Ihre Nostalgie ist dem Wissen gewidmet, dass Fachkräfte in Medienhäusern und Verlagen ihnen das Urteil abnehmen, welche Inhalte Aufmerksamkeit verdienen und welche Zeitverschwendung sind. Also: Neue Ideen gerne, aber bitte wohl kuratiert und in gut verdaulichen Portionen angeboten? Ist das nicht ähnlich uninspiriert wie die Flucht in die Modetrends der letzten Jahrzehnte?
Man kann wunderbar im Kreis diskutieren, ob ein Freigeist die Möglichkeiten des Digitalen nutzt, um selbstbestimmt in die vertrauten Muster von früher zu fliehen oder sich lieber betreut und behutsam an das Neuartige heranführen lässt. Aber interessant wird es doch eher, wenn die dritte Neuauflage des „My Little Pony“-Cartoons junge Männer aus aller Welt zu eigenen Comics, Parodien und Musik inspiriert. Wenn der Videoschnipsel, in dem ein längst vergessener B-Promi aus der zweiten Staffel von „Big Brother“ sein Leid klagt, auf einmal wieder witzig ist, weil ihn jemand mit der Überschrift „Ich bei der Arbeit” bei Instagram gepostet hat. Wenn wir dem Lieblingsessen aus unserer Kindheit unseren eigenen Kniff verleihen – schmeckt Omas Erbsensuppe eigentlich auch mit Räuchertofu statt mit Mettwurst?
Erbsensuppe-Remix
Kurz: Wenn passiver Konsum und die unkritische Sehnsucht nach damals endet und Menschen anfangen, die gesammelten Bilder und Referenzen zu verändern, zu remixen, neu zu erfinden. Dass da auch einiges an Unsinn bei rumkommt, ist klar. Aber auch die Beschäftigung mit Unsinn kann ja durchaus faszinierend sein. Und öfter, als man meint, entsteht Bahnbrechendes. So war es schon bei Dantes Inferno, so ist es heute, wenn das Pop-Amalgam Chapell Roan Musik von Kate Bush bis Lana Del Rey und queere Drag- und Ballroomkultur gleichermaßen als Einflüsse nennt. Im September wurde Roan in das House of Colby aufgenommen, eines der erfolgreichsten Drag-Kollektive der Welt. Das verkündete Hausmutter Sasha Colby, als sie Roans Auftritt bei den Video Music Awards anmoderierte. Queere Kultur, ohne Angst oder Scham zur Schau gestellt, auf einer der größten Musikbühnen überhaupt. In Zeiten, in denen Konservative wieder auf die Kriminalisierung genau dieser Kultur drängen. Da lohnt es sich, genau hinzuschauen.
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Weihnachtswarnung
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Teil 1: Interview – Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Konsum und Nostalgie
Spenden ohne Umweg
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Netzwerk 2. Hand Köln organisiert Sachspenden vor Ort
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 2: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen
„Nostalgie verschafft uns eine Atempause“
Teil 2: Interview – Medienpsychologe Tim Wulf über Nostalgie und Politik
Lebendige Denkmäler
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Route Industriekultur als Brücke zwischen Gestern und Heute
Glücklich erinnert
Teil 3: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 3: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
Zivilcourage altert nicht
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal
Unglaublich, aber essbar
Todmorden und die Idee der „essbaren Stadt“ – Europa-Vorbild England
Schlechte Zeiten: Gute Zeiten
Die Macht der Nostalgie – Glosse
Es sind bloß Spiele
Teil 1: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 2: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Demokratischer Bettvorleger
Teil 1: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 2: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Friede den Ozeanen
Teil 1: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 2: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Stimmen des Untergangs
Teil 3: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 1: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
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Teil 2: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 3: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme