So manche richtig gute Idee gerät schnell wieder aus dem Blickfeld, bevor sie überhaupt eine echte Chance bekommen hat. Das liegt oft daran, dass es um ihre kapitalistische Verwertbarkeit nicht gut bestellt scheint.
Die „essbaren Städte“ zählen zu diesen Ideen. Dabei sind sie eigentlich nicht neu – sondern waren einst selbstverständlich: Früher war wohl so ziemlich jede Gemeinde ein „essbarer“ Ort. Lokale Produzenten boten auf dem Marktplatz regional produzierte Lebensmittel der Saison an. Diese Strukturen sind größtenteils verloren gegangen, verdrängt durch eine industrielle und globale Landwirtschaft.
Einfach zugreifen
In der Kleinstadt Todmorden, gelegen im Nordwesten Englands, wurden im Jahr 2008 jene alten Impulse in die Gegenwart übertragen. Eine Gruppe um die Aktivistin Pam Warhurst, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der englischen Forstwirtschaftsbehörde (Forestry Commission), begründete das Projekt „Incredible Edible“ (Unglaublich essbar), das mittlerwile Initiativen und Kommunen in aller Welt inspiriert. Die Idee: Im Stadtbild können an beliebiger Stelle und frei zugänglich für alle Bewohner:innen Lebensmittel angepflanzt werden. Wer mag, kann sich hieran bedienen, ganz im Sinne nicht-kommerziellen Teilens. Menschen pflanzen, pflegen und produzieren für andere Menschen, unabhängig von Alter, Herkunft oder Weltanschauung. Das Motto lautet: Wenn Du isst, bist Du dabei! Es geht also nicht nur um Lebensmittel, sondern ebenso um Bildung und Solidarität.
Die Idee der „essbaren Städte“ berührt zahlreiche Herausforderungen, die mit der ökologischen Zwillingskrise aus Klimawandel und Artensterben einhergehen, darunter nachhaltigen Ressourcenverbrauch, Schutz der Biodiversität, Flächenentsiegelung oder Gesundheitsschutz. Zudem ist die Teilnahme an keine besonderen Voraussetzungen gebunden: Jeder kann teilnehmen, sich selbst als Teil der Lösung begreifen und davon profitieren – in materieller und sozialer Hinsicht.
Auch in Deutschland
Ausgehend von Todmorden starteten Initiativen in anderen Städten ihre eigenen Projekte. Bereits für das Jahr 2016 verzeichnet die Homepage der Initiative über 100 Gruppen in Großbritannien und 600 weltweit. Plötzlich gab es „Vegetarischen Tourismus“, globale Vereinigungen wie das Edible Cities Network und Bildungsangebote. Selbst vor Polizeistationen gab es nun Gemüse und Kräuter zu ernten anstelle von verunkrauteten Beeten mit Zierpflanzen.
In Deutschland ist Andernach in Rheinland Pfalz das wohl bekannteste Beispiel einer „essbaren Stadt“. Hier wurden Grünflächenämter in die Pflege der Gärten eingebunden, ein Beispiel dafür, wie das Vorhaben durch Behörden unterstützt werden kann.
Inmitten von Krisen und Konflikten ist es um die „essbaren Städte“ stiller geworden. Es liegt nahe, dass sich das wieder ändern könnte. Schließlich sind sie eine niedrigschwellige und effektive Maßnahme, um den Krisen etwas entgegenzusetzen.
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