Thomas Thümena, Jahrgang 1967, hat Ende der 80er Jahre in New York Ethnologie und Filmwissenschaft studiert, in den 90er Jahren dann an der Kunstschule ECAL in Lausanne Audiovisuelle Medien. Seit 1999 ist er Mitinhaber der Produktionsfirma Hugo-Film. „Tingeluy“ ist sein zweiter Langfilm.
choices: Herr Thümena, Sie haben sich in Ihrem Film sehr auf die Per- son Tinguely konzentriert – eine Analyse seines Werks unternimmt der Film kaum. Warum haben Sie sich für diese biografische Perspektive entschieden?
Thomas Thümena: Tinguelys Werk ist in meinem Film gewissermaßen die Kulisse für sein bewegtes Leben. Ein Leben, das mich mit all seinen Widersprüchlichkeiten offen gestanden mindestens so sehr fasziniert wie sein Werk. Zumindest im Fall von Tinguely provoziert gerade eine solche Sicht eine sicher so spannende Interpretation seines Werkes wie eine analytische Kunstbetrachtung.
Es gibt einen bekannten Film von Peter Schamoni über Niki de Saint Phalle. Ein Vergleich mit ihrem Film ist naheliegend, „Jean Tinguely“ zeigt gar Überschneidungen beim Archivmaterial. Wie verhalten sich die Filme Ihrer Meinung nach zueinander?
(lacht) Nun, ich denke, sie verhalten sich zueinander etwa so wie Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle im wirklichen Leben: überaus gegensätzlich – aber bestimmt in Liebe und Respekt verbunden. In meinem Film spielt Jean Tinguely die Hauptrolle – und Niki de Saint Phalle diejenige seiner Geliebten, Muse und Gattin – und im Film von Peter Schamoni ist es genau umgekehrt. Das erklärt wohl schon vieles: scheinbar dieselbe Geschichte – aber zwei unterschiedliche Perspektiven. Die Überschneidungen liegen auch darin begründet, dass zu ihren bekanntesten Werken ihre Kollaborationen gehören, wie z. B. „Study for the End of the World“, ihre Sprengaktion in Nevada – oder auch die „Fontaine Stravinsky“, der Brunnen vor dem Centre Pompidou in Paris.
Der Film zeigt auch kritische Stimmen zur Privatperson Tinguely. Wie haben Sie die unterschiedlichsten Meinungen gewichtet?
Grundsätzlich interessierte mich bei diesem Portrait das Spannungsfeld zwischen künstlerischer Verwertung und etwaigen persönlichem Kollateralschäden – oder anders gesagt: Was ist der Preis des künstlerischen Erfolges? Und dass über einen Künstler, der in den 50er Jahren Teil der europäischen Avantgarde war, in den 60er und 70er Jahren zum Star der Kunstszene avancierte und in den 80er Jahren – zumindest in der Schweiz – zum Volksheld mutierte, nicht unbedingt Konsens bestehen würde, das war mir bereits zu Beginn klar.
Als Filmmusik wählen Sie das Schweizer Jazztrio Rusconi. Warum haben Sie diese Musik ausgesucht? Sehen Sie Parallelen zwischen Tinguelys Kunst und dem Sound des Trios?
Die Melodien von Rusconi mit ihrem teils verspielten, teils energiegeladenen Vorwärtsdrang betonen einen Wesenszug von Tinguelys Werk, der mir sicher sehr imponiert. Bei all dem Drive klingt jedoch immer auch eine heitere Melancholie mit – auch das ein Momentum, das dem Werk von Tinguely zugrundeliegt: das des Vergehens.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
„Versagen ist etwas sehr Schönes“
Regisseur Taika Waititi über „Next Goal Wins“ – Gespräch zum Film 01/24
„Ich muss an das glauben, was ich filme“
Denis Imbert über „Auf dem Weg“ – Gespräch zum Film 12/23
„Bei Schule können wir nicht einfach etwas behaupten“
3 Fragen an Johannes Duncker, Drehbuchautor von „Das Lehrerzimmer“ – Gespräch zum Film 04/23
„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“
Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23
„Ich wollte das Geheimnis seiner Kunst ergründen“
Regina Schilling über „Igor Levit – No Fear“ – Gespräch zum Film 10/22
„Ich wollte das damalige Leben erfahrbar machen“
Maggie Peren über „Der Passfälscher“ – Gespräch zum Film 10/22
„Migration wird uns noch lange beschäftigen“
Louis-Julien Petit über „Die Küchenbrigade“ – Gespräch zum Film 09/22
„Die Wüste ist ein dritter Charakter im Film“
Stefan Sarazin über „Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie“ – Gespräch zum Film 08/22
„Diese Generationenkonflikte kennen viele“
Katharina Marie Schubert über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ – Gespräch zum Film 02/22
„In der Geschichte geht es um Machtverhältnisse“
Bettina Oberli über „Wanda, mein Wunder“ – Gespräch zum Film 01/22
„Wir wollten kein langweiliges Biopic machen“
Regisseur Andreas Kleinert über „Lieber Thomas“ – Gespräch zum Film 11/21
„Gustave Eiffel war seiner Zeit voraus“
Martin Bourboulon über „Eiffel in Love“ – Gespräch zum Film 11/21
„Richtiges Thema zur richtigen Zeit“
Sönke Wortmann über „Contra“ – Gespräch zum Film 10/21
„Wie spricht man mit einem Kind über den Tod?“
Uberto Pasolini über „Nowhere Special“ – Gespräch zum Film 10/21
„Seine Kreativität lag lange im Verborgenen“
Sonia Liza Kenterman über „Der Hochzeitsschneider von Athen“ – Gespräch zum Film 09/21
„Du denkst, die Erde bebt“
Regisseurin Anne Zohra Berrached über „Die Welt wird eine andere sein“ – Gespräch zum Film 08/21
„Ich würde so gerne gehen. Aber ich weiß nicht, wohin“
Produzentin Bettina Wente über „Nahschuss“ – Gespräch zum Film 08/21
„Es geht bei Fassbinder um Machtstrukturen“
Oskar Roehler über „Enfant Terrible“ – Gespräch zum Film 10/20
„Familienfilm mit politischer Haltung“
Dani Levy über „Die Känguru-Chroniken“ – Gespräch zum Film 03/20
„Nicht alles erklären“
Patrick Vollrath über „7500“ – Gespräch zum Film 01/20
„Corinna Harfouch ist eine Klasse für sich“
Jan-Ole Gerster über „Lara“ – Gespräch zum Film 11/19
„Der Film brauchte eine Bildgewalt“
Christian Schwochow über „Deutschstunde“ – Gespräch zum Film 10/19