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Hermes Helfricht
Foto: Ovidiu Matiu

„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“

28. Mai 2024

Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Interview 06/24

Warum verschwinden Opern von der Bühne? Warum werden die einen vergessen, während andere verbleiben? Die beispielhafte, auf mehrere Spielzeiten angelegte Inszenierungsreihe Fokus ‘33 der Oper Bonn stellt sich solchen Fragen, so jetzt mit „Columbus“, der ersten Oper von Werner Egk aus dem Jahr 1933. Nach erfolgreicher Karriere in der Nazizeit hat Egk seine Laufbahn bis zu seinem plötzlichen Tod 1983 ungebrochen fortgeführt. Ein Gespräch mit dem Dirigenten Hermes Helfricht.

choices: Herr Helfricht, in Werner Egks erster Oper „Columbus“ wird die Figur des Entdeckers nicht heroisiert oder überhöht.

Das ist erstaunlich für die Jahre 1932/33, als Egk die Oper nicht für die Bühne, sondern für eine Aufführung im Rundfunk geschrieben hat. „Columbus“ ist auch dank einer nüchternen Erzählweise eine kritische Auseinandersetzung mit der Person und damit auch mit der Problematik der Kolonialzeit. Egk hat sich sein Libretto selbst geschrieben. In der Musik gibt es einige „grandioso“-Szenen, aber auch viele fragile Momente. Columbus singt am Ende von einem Brunnen, der unaufhörlich fließt und „dem Stunde um Stunde mehr Blut entströmt“. Da kommt die Barbarei der Spanier auf der neu entdeckten Insel zur Sprache. Columbus selbst begreift sich in der Oper als Entdecker und missionarischer, überzeugter Katholik. Am Ende relativiert er die Bedeutung von Gold und Silber: „Wohl dem Menschen, der Weisheit findet, und dem Menschen, der Verstand bekommt. Denn es ist besser, sie zu besitzen als Silber, und ihr Ertrag ist besser als Gold“, singt er vor seinem Tod.

Wie klingt die Musik dieser „Funkoper“, die Egk mit „Bericht und Bildnis“ untertitelt?

Es ist vielschichtige und kunstvoll instrumentierte Musik, die sehr strukturbetont und einer – hin und wieder aufgeweichten – Tonalität verhaftet ist. Egk wusste, welche klanglichen Effekte er braucht und wie er sie bekommt. „Columbus“ klingt anfangs wie die vier Jahre später (1937, Anm. d. Red.) uraufgeführte „Carmina Burana“. Carl Orff war der Lehrer von Werner Egk, das hört man an solchen Stellen. Man findet massive Blechbläser und Schlagzeug in marschartigen Sequenzen, an denen man spürt, dass diese Zeit einen Weltkrieg hinter sich hat und vielleicht auch, dass sie auf einen zweiten Krieg hinsteuert. Auf der anderen Seite finden wir besinnliche, getragene Musik, die fast etwas Meditatives hat. Ob man da eine böse Vorahnung auf das Kommende hören möchte, bleibt jedem überlassen.Egk schreibt auch lautmalerische Momente, schildert vor der Landung der Schiffe an der fremden Küste mit einem langen, zähen Ostinato der Streicher und einem Tamtam die Wellen, die gegen den Bug der Schiffe schlagen. Blitzartig wandelt sich die Musik dann hin zu einem glücklichen D-Dur. Interessant sind auch die sinfonischen Zwischenspiele.Der fast oratorienhaft berichtende Ton in „Columbus“, die Sprechrollen und die Verbindung passen zu der Zeit des Neoklassizismus. Die großen Emotionen wie etwa bei Puccini finden sich im Text nicht: Egk bedient sich des ebenfalls recht nüchtern gehaltenen Tagebuchs des Columbus und hat wohl die Quellen detailliert durchforstet. Der Dirigent Hermann Scherchen hat ihm wohl Ratschläge zur Struktur des Stücks gegeben. In der Musik lassen Paul Hindemith oder auch Igor Strawinsky grüßen.Im ersten und dritten Teil zitiert Egk einen spanischen Choral und ein Volkslied. Der Chor beeinflusst die Struktur der Musik maßgeblich. Er hat etwas Archaisches, kommentiert und bildet den äußeren Rahmen des Werks. Im zweiten Teil eignet er sich ein fernöstlich klingendes Idiom an für einen sehr perkussiv gestalteten Chor der Indigenen. Im großen „Te Deum“ nach Entdeckung der Insel Hispaniola und in der Szene „Der Tod des Columbus“ gewinnt die Musik auch sakralen Charakter.

Warum führt die Oper Bonn gerade dieses Werk auf?

Der verstorbene Operndirektor Andreas K. W. Meyer hat alle Stücke für die Serie Fokus ‘33 unter verschiedenen Aspekten ausgewählt. Er hat Werke gesucht, die nicht nur einmal gespielt und dann wieder in der Schublade verschwinden sollten, sondern die zu Unrecht vergessen sind. Wir wollen Komponisten näher beleuchten, die nicht allgemein bekannt sind. Egk war vor und nach dem Krieg erfolgreich und bekleidete im deutschen Musikleben wichtige Positionen, hatte auch durch sein Netzwerk großen Einfluss auf die Musik der Nachkriegsjahre. Das ist für uns ein Anlass, uns kritisch mit der Person zu beschäftigen. „Columbus“ war eines der Lieblingswerke Egks, und Meyer fand es vielleicht wert, der heutigen Öffentlichkeit wieder vorgestellt zu werden. Wir freuen uns alle auf diesen „Columbus“. Regisseur Jakob Peters-Messer hat eine kluge szenische Lösung gefunden, bei der das Orchester auf der Bühne einen wichtigen Platz einnimmt.

Wo waren Sie an der Reihe Fokus ‘33 beteiligt?

Ich selbst habe die Opern „Asrael“ von Alberto Franchetti und „Li-Tai-Pe“ von Clemens von Franckenstein dirigiert und an „Ein Feldlager in Schlesien“ von Giacomo Meyerbeer mitgewirkt. Das waren drei der erfolgreicheren Produktionen. Für die Fokus ‘33-Reihe erhielt die Oper Bonn 2023 übrigens den Oper! Award für die „beste Wiederentdeckung“. 

Sie haben in Bonn viel dirigiert – von den Rennern im Repertoire bis zu unbekannten Opern. Was waren für Sie die wichtigsten Produktionen

Ich bin jetzt in der sechsten Spielzeit in Bonn. Begonnen habe ich als Assistent von GMD Dirk Kaftan und der Übernahme von Dirigaten von „Lohengrin“. Das war eine große Freude, mit 26 Jahren Wagner dirigieren zu dürfen. Meine erste eigene Premiere war Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“ – ein schöner Einstieg. Dann kam eine anspruchsvolle Premiere, Leoš Janáčeks „Sache Makropulos“, die mir und dem Orchester alles abverlangte, aber meine Liebe zu der ganz eigenen Tonsprache Janáčeks gestärkt hat. Leider ist dann in der Corona-Zeit meine Premiere von Benjamin Brittens „Tod in Venedig“ zum Opfer gefallen. Dann begann die Fokus ‘33-Reihe mit „Asrael“ und „Li-Tai-Pe“ – beide mit großartiger Musik. Neben all dem dirigierte ich in jüngster Zeit Repertoirestücke wie „Madama Butterfly“, „Die Entführung aus dem Serail“ und einen sehr erfolgreichen „Eugen Onegin“. Aber die „Exoten“ meiner Bonner Zeit haben mich musikalisch überzeugt und begeistert. Ich kann mich angesichts einer solchen Bandbreite glücklich schätzen.

Welche dieser Ausgrabungen würden Sie sofort wieder aufführen?

„Asrael“ in leicht gekürzter Fassung – ein unglaublich starkes Stück. Aber auch „Li-Tai-Pe“ würde ich gern wieder aufführen. Es ist selten, dass an einem Opernhaus alle Beteiligten an einer Produktion zu hundert Prozent begeistert sind, wie das bei „Li-Tai-Pe“ der Fall war.

Sie haben bald eigene Verantwortung für ein Programm, wenn Sie 2025 als GMD nach Hagen gehen …

… da schauen wir mal. Die Meldung stand schon in den Zeitungen, als der Vertrag noch nicht spruchreif war. Wir stehen gerade in Verhandlungen. Bisher ist noch nichts unterschrieben, deswegen kann ich noch nichts Konkretes sagen. Dazu müssten wir uns dann zu einem weiteren Interview treffen.

Columbus | 2.6. 11 Uhr (Einführungsmatinee), 16. (P), 20., 22., 28.6., 4.7. | Oper Bonn | 0228 77 80 08

Werner Häußner

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