Seine berufliche Laufbahn begann der 1972 in Neustrelitz geborene Charly Hübner 1993 an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin. Neben Theaterengagements am Maxim-Gorki-Theater in Berlin oder am Schauspielhaus Zürich wurde er auch rasch durch Film- und Fernsehrollen berühmt, u.a. in Filmen wie „Junges Licht“, „3 Tage in Quiberon“ und „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ oder in über 20 Folgen von „Polizeiruf 110“ als Kriminalhauptkommissar Alexander Bukow. Nun hat Hübner die Hauptrolle in der Dörte-Hansen-Verfilmung „Mittagsstunde“ unter Lars Jessen übernommen, die am 22. September in den Kinos anlaufen wird.
choices: Herr Hübner, der Film basiert auf einem Roman Dörte Hansens, deren spezifische Stimmung er sehr genau einfängt. War es für Sie zur Vorbereitung wichtig, die Vorlage zu lesen?
Charly Hübner: Ja, aber ich mache das sowieso immer, denn die Erfahrung lehrt, dass der Geist eines Romans sich immer zum Film verhält. Deswegen ist es besser, wenn man das während des Prozesses schon mit auf dem Zettel hat. Das muss ja nicht jeder machen, aber ich habe Interesse daran. In diesem Fall war es am Ende dann sogar wichtiger, als man dachte, weil es eben kein Plot-orientierter Roman ist, sondern er ist eher wie ein Teppich. Man wird darin von Dörte Hansen wie mit einer Lupe zu einzelnen Feldern geführt. Dabei entsteht erst nach und nach der Charakter von Ingwer und den anderen Figuren. Die Figur wird eigentlich nie beschrieben, man erlebt sie nur durch die Art, wie Dörte Hansen über sie spricht. Die Erzählung ist dabei ironischer, als man es in einem Film machen kann. Dazu hätte es einer Off-Stimme bedurft, die dann aber auch eine Distanz aufgebaut hätte. Das, was sie erzählt, wenn man die weise Ironie herausnimmt, ist sehr melodramatisch und traurig. Auch das, was ich in meinem Erzählstrang mit Hildegard Schmahl und Peter Franke erlebt habe, hatte eine sehr hohe Melancholie. Das steckt auch alles im Buch, nur dort ist es ironischer verpackt.
Größere Teile des Films sprechen Sie auf Plattdeutsch, obwohl das nicht Ihr eigener Geburtsdialekt ist. War es schwierig für Sie, da hineinzufinden?
Dörte Hansen hat die ganzen Sachen, die Plattdeutsch sein sollen, aufgesprochen, wie sie im Friesischen sein sollen. Denn das ist tatsächlich nochmal ein anderes Platt als mein Mecklenburger Platt. Das ist viel umständlicher und komplizierter, teilweise auch dem Dänischen oder Englischen näher als in Mecklenburg, wo die Syntax gerader ist. Wir haben aber vom Film komplett zwei verschiedene Fassungen gedreht, eine auf Plattdeutsch, und eine auf Norddeutsch. Wir haben immer mit der plattdeutschen Fassung angefangen, weil das ja eine sehr gestische Sprache ist. Danach haben wir dann die norddeutsche Fassung gedreht, weil wir das dann schon ganz gut gestisch bedienen konnten.
In Ihrem Debütroman über Motörhead lassen Sie den Teufel Plattdeutsch sprechen. Wie kam es denn zu dieser Entscheidung, wurde die von diesem Film inspiriert?
Nein, das Buch war schon vorher fertig. Das war für mich ein intuitives Niederschreiben aus einer Fantasie heraus. Die Fertigstellung des Buches war total an den Teufelsstein im Hullerbusch im Süden Mecklenburgs gebunden. Ich fand es einfach lustig beim Schreiben über Motörhead, wenn der Teufel mit auf der Szene ist. Lemmy Kilmister hatte ja einen sehr guten Kontakt zu dieser Idee der Religion, zu den gefallenen Engeln, von denen er letzten Endes ja auch einer war. Der Teufel musste also dabei sein, und Deibel klingt einfach toller. Wenn man sich ihn so vorstellt, wie ich ihn mir vorstelle, dann kann er nur Platt reden.
Der Begriff Heimat klingt im Film immer wieder an. Haben Sie eine konkrete Beziehung dazu, was ist Heimat für Sie?
Das Wort ist meiner Meinung nach schwer beladen, ich würde ihm einen Neuanfang wünschen. Ich selbst kann mit dem Begriff letztendlich gar nicht so viel anfangen. Es gibt für mich den Herkunftsort, das ist Mecklenburg, und der wird für mich im Alter jetzt auch immer präsenter. Obwohl ich mich davongemacht habe, ist meine Prägung von dort doch sehr stark. Das, was Heimat für mich meint, sind meine Familien. Meine Liebesfamilie mit meiner Frau und meinem Ziehsohn, natürlich meine Geschwister und meine Mutter, und dann die ganzen Künstlerfamilien, mit denen man länger arbeitet. Auch bestimmte Landstriche oder Naturarten fallen für mich unter den Begriff Heimat. Heimat ist für mich nichts Ideologisches, sondern Orte, an denen man seelisch und geografisch Ruhe findet und sich gut erholen kann.
Im Film hat sich für Ingwer sein geografischer Heimatort im Laufe der Jahrzehnte sehr stark verändert. Können Sie das auch von Ihrer Heimat sagen?
Ja, bei uns kam ja auch noch das Ende der DDR hinzu. Da passierte ja zweierlei: Zum einen sind Sachen aus der Kindheit verschwunden, zum anderen wurde an bestimmten Orten ein Wiederaufbau versucht, hin zu Orten, Häusern oder Straßenzügen, wie sie vor Zeiten der DDR waren und durch den Krieg zerstört worden waren. Das ist etwas bizarr, denn die Zeit geht immer voran, sie geht nie zurück. Ich bin immer erstaunt, dass sich Menschen wundern, dass Dinge vergehen. Aber wie wäre es denn, wenn ab jetzt immer alles so bliebe? Wie wäre es gewesen, wenn alles wie im Jahr 1822 stehen geblieben wäre? Dann würden wir heute noch in Hemden herumlaufen, wie Franz Schubert sie getragen hat, dann hätten wir noch Schuhe mit Manschetten und Knickerbocker-Hosen. Bei Ingwer Feddersen ist es so, dass sich eine Generation durch den Krieg seelisch und körperlich selbst verbrannt hat, und durch die Alliierten kam dann eine andere Idee daher, die Industrialisierung der Agrarwelt und die damit verbundenen infrastrukturellen Veränderungen. Das hat zum einen in Form von Geld sehr viel Segen gebracht, aber alles, was innere Ruheräume sind, wurde einem dadurch genommen, weil man die Welt optimiert hat. Dinge, Orte, Menschen ändern sich, weil es so ist – das ist das Leben an sich – oder nicht?
In der Handlungsebene, in der Sie mitspielen, geht es um pflegebedürfte Eltern, ein Thema, das immer verbreiteter und drängender wird. Haben Sie selbst sich durch den Film nun verstärkt Gedanken darüber gemacht?
Ich finde diese fiktionale Setzung toll, dass sich jemand dafür entscheidet, sich um seine Eltern/Großeltern zu kümmern. Das ist auch eine Form von Dankbarkeit dafür, wie sie einen einst großgezogen haben, als man noch ein Kind war und in die Hose machte. So geleitet man sie jetzt aus dem Leben wieder heraus, das ist letzten Endes ja auch ein Kreislauf. Das ist auf einer philosophischen Ebene ein toller Gedanke, dass man sagt, man kommt auf die Welt und da sind Menschen, die einem helfen, bis man gehen und schreiben kann, dann wird man immer größer und am Ende des Lebens sind die Zellen so müde und regenerieren sich nicht wieder neu, dass man wieder jemanden braucht, der einem hilft. Das sind im Idealfall diejenigen, denen man selbst das In-die-Welt-kommen bereitet hat. Das ist wie die Übergabe eines Staffelstabs, der Teil einer Kette.
Lennard Conrad spielt die jüngere Version Ihrer Figur. Haben Sie sich da irgendwie abgestimmt bezüglich Handlungsmustern oder Verhaltensweisen?
Ich hatte mit Lars Jessen (dem Regisseur; Anm. d. Red.) ausgemacht, dass sie zunächst die Szenen mit dem Jungen drehen, weil es für mich vom beruflichen einfacher ist, etwas zu übernehmen als von einem so jungen Mann zu verlangen, „Spiel das mal, wie der Charly das spielt.“ Ich bin später eingestiegen, weil sie erst den historischen Teil drehten, und dann bekam ich Muster zu sehen, wie der Junge das spielt, und das konnte ich dann in meine Arbeit mit einschließen. Das war wie der Estrich für meine Figur, und das haben auch Hildegard Schmahl und Gabriela Maria Schmeide gemacht, wenn sie sich beide auf eine bestimmte Art das Ohr streicheln, oder auch Rainer Bock und Peter Franke, die miteinander auch Gesten ausgemacht haben, Zeichen, die in der Erzählung fußen. Mit Lennard gab es an einem Tag eine Begegnung, und der hatte eine ganz besondere Aura, die ich dann versucht habe, zu übernehmen.
Ungewöhnlich ist auch, dass Klaas Heufer-Umlauf den Film produziert hat, seinen ersten Kinofilm. Haben Sie mitbekommen, was ihn gerade hier dazu veranlasst hat?
Es gibt seit einer Weile die Florida-Filmproduktion, eine Art Tochtergesellschaft von der Florida Entertainment, bei der Klaas ja einer der Gesellschafter ist. Dahinter steckt eine große Ambition, dazu gehören auch Literaturverfilmungen. Klaas ist ja für uns alle eine bekannte Figur als Entertainer, aber er ist auch ein Mensch, der darüber hinaus eine ganze Menge anderer Interessen hat. Und in dieser produzentischen Tätigkeit schimmern diese eben durch. Ich denke, da werden uns noch einige tolle Produktionen erwarten.
12 Jahre waren Sie Kriminalhauptkommissar im „Polizeiruf 110“, was Ihnen eine enorme Popularität eingebracht hat. Würden Sie sich heute auch wieder für eine Rolle in einem Reihenformat verpflichten?
Das kommt immer auf die Rolle an. Das Reihen- oder Serienformat ist ja interessant, weil man einen Charakter viel länger ausformulieren kann als in einem Einzelstück wie „Mittagsstunde“ oder „Die stillen Trabanten“. Aber das kommt für mich immer auf die Figur an. Damals, am Ende der 2000er Jahre, war es interessant, über Korruption in staatlichen Organisationen nachzudenken. Das war der ureigentliche Ansatz der „Polizeiruf 110“-Reihe, man brachte hier jemanden ins Spiel, der interne Ermittlungen leitete. Für diese innere Wartung wurde Frau König (gespielt von Anneke Kim Sarnau; Anm. d. Red.) ins Rennen geschickt, Bukow mit seiner ostdeutschen Vergangenheit mal zu kontrollieren. Das blieb irgendwann auf der Strecke, und es ging um Liebe, und nebenher wurden immer noch Fälle geklärt. Bukow war ein potenter Charakter, und ich glaube, dass er seine Zeit gehabt hat. Heute wäre es interessant, Figuren zu spielen, die eine strahlende Aura haben, die nicht diese Düsterheit wie Bukow haben, sondern wirklich fast wie eine Lichterscheinung in die Welt kommen. Jemand, der an das Licht glaubt und nicht an das Dunkel, so etwas würde ich heute gerne einmal probieren.
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