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"Generation Kunduz"
Foto: Presse

Jenseits von embedded Kunduz

15. März 2012

Martin Gerner im Interview – Gespräch zum Film 03/12

Martin Gerner ist freiberuflicher Journalist, Autor und bildet JournalistenInnen in Afghanistan aus. „Generation Kunduz“ ist sein Debütfilm. Er ist Initiator des ersten Afghanistan-Filmfestivals im Kölner Filmhaus und hat eine Reihe mit afghanischen Dokumentarfilmen beim DOK Leipzig 2008 kuratiert.

choices: Herr Gerner, sie haben einen Dokumentarfilm in Kunduz ohne Militärbegleitung gedreht. Wie bekommt man Kontakt zu den Protagonisten?

Martin Gerner: Der kleine Schuhputzer Mirwais war eine zufällige Begegnung. Dadurch, dass ich seit vielen Jahren in Afghanistan arbeite, ist er mir als spannender Protagonist aufgefallen. Ich habe Mirwais in einem Teehaus getroffen, wo wir öfters vorbeikamen. Ich finde ihn einen typischen Jungen, der seine Familie miternähren muss. Er verdient ungefähr genauso viel wie sein Vater, der Lastkarren zieht. Das ist ganz typisch für ärmere afghanische Familien, um durch den Tag zu kommen. Die Konzentration, die er auch im Film ausstrahlt, hatte er von Anfang an. Dann haben wir uns mehrfach mit ihm getroffen. Die anderen Begegnungen mit den Protagonisten waren weniger zufällig. Die beiden Filmmacher kannte ich aus einer Theatergruppe schon vor dem Filmdreh. „Filmemacher“ ist vielleicht auch ein bisschen viel gesagt. In Kunduz gibt es im Gegensatz zu Kabul keine Filmausbildung. Die jungen Filmemacher orientieren sich vor allem an Bollywood und Lollywood, das ist das pakistanische Pendant zur indischen Filmproduktion. Seine Kleidung zum Beispiel ist durch indische Einflüsse geprägt.

Wie wollten Sie das Land Afghanistan in Ihrem Film repräsentiert sehen?

Mir war wichtig, die junge Generation im Film abzubilden, denn die unter 26-jährigen machen zwei Drittel der Gesellschaft aus. Die Bevölkerungspyramide verhält sich also umgekehrt zu der deutschen. Ich habe Jugendliche gezeigt, die sich in ihrem Land verwirklichen wollen. Es gibt natürlich auch viele junge Leute, die auswandern und Asyl in den westlichen Staaten suchen. Der Reiz des Westens ist immer da. Ich konnte nicht alles in einen Film packen. Man könnte also auch eine andere Story drehen, wie vor zehn Jahren war „In this world“ von Michael Winterbottom. Mein Eindruck ist das es sehr viele mutige Menschen in Afghanistan gibt, die ganz viel bewegen wollen. Insofern ist das absolut typisch.

Wenn ich im Alltag dort normal arbeite, spüre ich diese enorme Dynamik, die Lust, die Neugier. Mit dem Film kann man entdecken, dass auch unter der Burka Leben steckt. Im Film steht Nazanin, die Lokalreporterin dafür, sie ist weder „Heimchen“ oder „Dummchen“. Aber unser Bild in den Medien ist ganz anders. Mir war auch wichtig, die dortigen Medien darzustellen. Ein Bereich, in dem sich ganz viel entwickelt, trotz der Hindernisse. Aber die Radiomacherin ist eine ganz typische Frau, die sich soweit verwirklicht in den Medien, wie es eben geht. Mit den Grenzen, die sich aus dieser Gesellschaft trotz allem ergeben.

Gab es noch weitere Schwerpunkte?

Die Wahlen, also wie Demokratie aussieht, wollte ich auch unbedingt zeigen. Das sieht man, dass die einzige unabhängige Organisation im Land, die Wahlbeobachtung betreibt, und die durch EU-Gelder finanziert wird, keine Sicherheitsleute hat und nicht mal in die Wahllokale rein kann.

Warum haben Sie den Dokumentarfilm als Medium gewählt?

Der Film mag eine journalistische Erzählweise haben, wie einige finden. Auf der anderen Seite, kann man „Generation Kunduz“ auch als Autorenfilm betrachten. Insofern er nämlich der erste Versuch in dieser Stadt ist, die seit zehn Jahren in unseren Medien vorkommt, etwas das ganz normal ist, nämlich die Afghanen und ihren Alltag, zu zeigen. Zudem war es mir wichtig, ohne Voice-Over zu arbeiten und dem Zuschauer nicht die Welt zu erklären.

Wenn ich vor Ort bin mache ich viel für deutsche Medien, weil ich es wichtig finde, Dinge zu erzählen, die sonst in den Medien nicht vorkommen. Die Berichterstattung ist sehr klischeehaft. Deshalb habe ich auch den Film gemacht. Die Einseitigkeit des „embedded“-Blicks ist immer stärker zu spüren. Die meisten Leute glauben, es sei nur noch embedded journalism möglich. Und das ist ein Trugschluss. Ich glaube, der Film füllt eine Lücke. „Generation Kunduz“ ist ohne Fernsehgelder entstanden. Was auch ganz viel aussagt, denn eigentlich gehört er in die Grundversorgung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Warum entstehen, wenn Medien das Militär begleiten, ganz andere Bilder ?

Das Militär kommt in der Regel so nah an die Menschen nicht ran. Das ist wie eine große Frustration: die Mehrzahl stehen in keinem wirklich täglichen Kontakt zur Bevölkerung. 80 Prozent der Militärs kommen nie raus aus ihren eingezäunten Stützpunkten. Deshalb würde ich es auch begrüßen, wenn der Film in solchen Kontexten gezeigt wird. Warum den Film nicht in Kunduz auch deutschen Soldaten zeigen? Der Film greift das Militär nicht an, sondern macht einfach eine neue Tür auf. Und scheint mir nötig. Die Diskussion um den Luftangriff war bisher von einer Binnensicht beherrscht. Beispiel: der Untersuchungsausschuss der Bundesregierung, der so gut wie keinen Afghanen befragt hat. Deshalb löst dieser Film vielleicht so etwas wie ein selbstverordnetes Bilderverbot auf.

Welche Rolle hat die Sicherheit des Teams beim Drehen gespielt?

Der Luftangriff ist zwischen zwei Drehs passiert, wir waren also gerade nicht vor Ort. Ich kam kurz danach wieder, um weiterzudrehen. Die Kameraleute waren aus Afghanistan, weil ich überzeugt war, dass man mit einheimischen Kameramännern eine größere Nähe zu den Protagonisten herstellen kann. Durch die Arbeit mit einem Kameramännern, die Sprache und Bräuche kennen, lies sich für meinen Eindruck eher Nähe herstellen. Zugleich trifft zu: das Misstrauen vor Ort ist gewachsen über die Jahre.

Deshalb gilt es, anders heranzugehen an gewisse Dinge. Zum Beispiel Interviews mit Frauen, die können maximal bis 16 Uhr geführt werden außerhalb ihres zu Hauses. Und um 18 Uhr geht das Team aus Fahrer und Übersetzer spätestens nach Hause, weil es dunkel wird. Klar ist auch, wir fahren nicht drei Mal am Tag denselben Weg. Ich respektiere natürlich den Wunsch meines Übersetzers, separat zum Interview zu kommen, weil er sonst zu oft mit mir gesehen werden könnte. Für solche Dinge waren wir sensibilisiert (...). Die Polizistinnen konnten wir ein begrenzte Anzahl von Malen treffen, viel mehr hätte sie womöglich unter Druck gesetzt. Der deutsche Luftangriff und die Wahl brachten eine ganze Menge Spannung in die Zeitspanne unseres Drehs. Aber es ist zugleich sehr anders, als es unsere Schlagzeilen nahelegen.

Interview: Inga Selck

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