Sie wurde 1997 in München geboren, und obwohl sie gerade einmal 20 Jahre jung ist, kann Lisa Vicari bereits auf rund zwanzig Film- und Fernsehrollen zurückblicken. Nach ihrem Filmdebüt 2010 in „Hanni & Nanni“ übernahm sie auch Rollen in „Hell“, „Exit Marrakech“ und „Doktorspiele“. Mit der deutschen Netflix-Serie „Dark“ verbuchte sie kürzlich sensationelle Erfolge. Im Regiedebüt des Produzenten Khaled Kaissar hat sie nun die Titelrolle der „Luna“ übernommen, die schmerzlich erfahren muss, dass ihr Vater ein Doppelleben führte. Der Film ist ab dem 15. Februar bundesweit im Kino zu sehen.
choices: Frau Vicari, mussten Sie einen langen Castingprozess durchlaufen, um die Titelrolle in „Luna“ zu bekommen?
Lisa Vicari: Ich hatte mit dem Produzenten Thomas Wöbke 2012 schon einmal zusammengearbeitet beim Film „Hell“. Deswegen kannten wir uns schon, und ich glaube, er hat mich dem Regisseur Khaled Kaissar auch ein wenig empfohlen. Aber ich habe trotzdem an einem ganz normalen Casting teilgenommen, aber soweit ich mich erinnern kann, fand nur eine Casting-Runde statt. Aber ich glaube, die Vorauswahl für die Castings war schon sehr fein abgestimmt gewesen.
Es gibt eine Menge Actionszenen im Film. War es für Sie als Schauspielerin eine Herausforderung, so körperlich zu agieren?
Ja, das war tatsächlich vor allen Dingen eine körperliche Herausforderung, zumal ich das zuvor noch nie in dieser Form gemacht hatte. Man ist das aus deutschen Filmen ja gar nicht so gewohnt, dass darin viele Actionszenen enthalten sind. Insbesondere auf die Kletterszenen habe ich mich deswegen auch ausgiebig vorbereitet. In Oberstdorf musste ich wirklich eine Szene in 60 Meter Höhe drehen, und dafür habe ich im Vorfeld in einer Kletterhalle erst einmal die Basics dafür gelernt. Auch an der Wand selbst haben wir dann vorher noch einmal geübt, aber es hat Spaß gemacht, ich finde das cool, wenn man sich in so etwas auch körperlich reinhängen kann.
Der Film entwickelt sich zu einer Art Buddy Movie zwischen Ihrer Rolle und Carlo Ljubeks Figur. Wie war denn die Zusammenarbeit mit ihm?
Ich finde auch, dass die Beziehung zwischen den beiden sehr wichtig ist. Am Anfang erwartet man das gar nicht unbedingt, dass sich die Beziehung der beiden in diese Richtung entwickelt. Deswegen war es besonders wichtig, dass Carlo und ich uns gut verstehen. Ich habe aber beim Casting schon gemerkt, dass Carlo super vorbereitet war und sich sehr in die Rolle reingehängt hat. Außerdem haben wir uns super verstanden. Da ich die meisten Drehtage mit ihm hatte, war das sehr leicht und angenehm für mich. Wir haben uns gegenseitig unterstützt, aber er ist erfahrener als ich, weswegen er insbesondere mir viel helfen konnte. Es war einfach eine schöne Zusammenarbeit.
Wie konnten Sie sich auf eine Figur vorbereiten, die relativ früh im Film ihre gesamte bisherige Identität verliert?
Das ist schon schwierig, weil das ein dermaßen brutaler Einschnitt ist, dass man sich das gar nicht richtig vorstellen kann. Wenn einem Brutalitäten im Leben widerfahren, schaltet der Kopf ab einem bestimmten Zeitpunkt irgendwie ab. Ich vermute, dass man sich dann einfach abkapseln muss. Wir haben auf verschiedene Weisen versucht, an diese Situation heranzukommen. Beispielsweise habe ich gleich zu Beginn mit einem Psychologen darüber geredet, der speziell für Traumata-Patienten zuständig ist. Er hat mir und dem Regisseur Khaled erklärt, wie diese in bestimmten Situationen reagieren, denn oftmals reagieren sie ganz anders, als man das als Außenstehender erwarten würde. Im Film gibt es aber nur wenige Szenen, in denen wir einen emotionalen Zusammenbruch Lunas thematisieren, weil sie dazu überhaupt keine Zeit hat (lacht). Sie muss immer weitermachen und hat immer eine Aufgabe. Zusätzlich habe ich mich mit dem Schauspielcoach Frank Betzelt auf die Rolle vorbereitet, der mir auch sehr geholfen hat, diese Welt zu verstehen, in der sich Luna befindet.
Luna durchläuft im Film eine starke charakterliche Wandlung. Wurde der Film chronologisch gedreht, oder mussten Sie sich bei jeder Szene wieder neu in deren derzeitige Lage hineinfinden?
Nein, wir haben nicht chronologisch gedreht. Aber ich habe mir darüber einfach im Vorfeld Gedanken gemacht, und wir haben darüber gesprochen. Wenn man dann eine Szene dreht, schaut man sich im Drehbuch auch immer wieder an, was davor kam und wie es weitergeht, so dass man jede Szene besser einordnen kann. Dann habe ich versucht, den Bogen zu spannen über den kompletten Film. Dabei hat mir das Drehbuch auch geholfen, weil es schon so geschrieben war, dass sich alles logisch entwickelt hat.
Für Khaled Kaissar ist „Luna“ sein Langfilmdebüt. Wie haben Sie ihn in dieser für ihn als Produzenten noch eher ungewöhnlichen Funktion als Regisseur erlebt?
Khaled ist ein unglaublich motivierter Mensch, was sehr schön ist, wenn man am Set ist. Er ist der totale Macher, der immer alles gibt, wodurch wir sehr gut mit ihm arbeiten konnten. Er war immer sehr offen, wenn Carlo und ich Anmerkungen hatten. Wir konnten immer mit ihm reden, und er ist auf uns eingegangen. Khaled ist auch sehr gut darin, die richtigen Leute um sich zu versammeln, die auf ihrem Gebiet sehr gut sind und darin genau wissen, was sie machen. Das war eine sehr schöne, erfrischende Arbeit.
Nach „Hell“ spielen Sie nun in „Luna“ erneut in einem der nach wie vor seltenen deutschen Genrefilme. Würden Sie sich wünschen, dass es mehr davon gäbe?
Ja, auf jeden Fall! Ich finde es immer schön, wenn es Genrefilme aus Deutschland gibt. Ich schaue mir die so gut es geht immer an, weil ich das auch unterstützen möchte. Wir haben so tolle Regisseure und Drehbuchautoren in Deutschland, die alle gute Ideen haben, aber einfach nicht die Förderung oder Unterstützung erhalten. Ich hoffe, dass sich das weiter verändert, aber ich glaube, wir machen da gute Schritte in die richtige Richtung.
Nicht zuletzt durch Ihre Auftritte in der sehr erfolgreichen Netflix-Serie „Dark“ boomt Ihre Karriere momentan sehr stark. Hat sich das auch schon in Ihrem Privatleben bemerkbar gemacht?
Die Reaktionen auf „Dark“ waren bislang durchweg sehr schön. Ich bin z.B. schon von einer Kassiererin im Supermarkt angesprochen worden, ob ich da mitgespielt hätte. Dann hat sie mir gesagt, dass sie die Serie so toll fand, dass sie sie an einem Tag komplett durchgeschaut hätte. So etwas ist natürlich total schön, weil man ansonsten sehr selten direktes Feedback auf das bekommt, was man gedreht hat. Umso besser, wenn es dann so positiv ausfällt, das ist natürlich Balsam für die Seele.
Sie standen schon als Kind vor den Kameras. War Ihnen schon so früh bewusst, dass Schauspielerin Ihr Traumjob ist?
Ich glaube, unterbewusst hat es mich immer in diese Richtung gezogen. Früher wollte ich ganz lange immer beim Zirkus sein, habe als Kind beim LILALU-Kinderzirkus mitgemacht. Irgendwie hat es mich schon immer auf die Bühne gezogen. Irgendwann habe ich dann einen Kinderschauspielkurs gemacht, der mir wirklich richtig gut gefallen hat. Es war nicht unbedingt die bewusste Entscheidung, unbedingt Schauspielerin werden zu wollen, als vielmehr meine Lust an der Verwandlung und an der Verkleidung. Daraus hat sich das dann entwickelt, und ich habe erst später gemerkt, welcher Beruf das ist, der mir so viel Freude bereitet. (lacht)
Derzeit studieren Sie auch noch parallel in Potsdam, für welches Fach haben Sie sich entschieden?
Ich studiere Medienwissenschaft, das ist ein relativ grob umrissenes Fach, in dem man einen guten Einblick in die ganze Medienwelt aus verschiedenen Blickwinkeln erhält. Ich kannte Medien bislang in erster Linie durch meine Rollen vor der Kamera, aber es gibt ja noch viele weitere Medien außer Film. Ich fand es einfach mal wieder schön, wissenschaftliche Texte zu lesen und mich mit anderen Dingen zu beschäftigen als nur mit Film, obwohl ich das liebe. Manchmal tut es dem Kopf und der Seele gut, über etwas Anderes nachzudenken und sich wissenschaftlich mit etwas auseinanderzusetzen. Deswegen habe ich Lust zu studieren und dieses Studienfach gewählt, weil es mir auch Freiheiten gibt, drehen zu können, wenn ich muss oder will. Und ich wollte mich auch fachlich weiterbilden, weil ich finde, dass ich mit 20 Jahren noch nicht sagen kann, dass ich ausgelernt habe.
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