Der Ursprung der Geschichte vom Tod Johannes des Täufers findet sich im Markus- und-Lukas Evangelium: „Als aber der Geburtstag des Herodes gefeiert wurde, tanzte die Tochter der Herodias vor den Gästen. Und sie gefiel Herodes so sehr, dass er schwor, ihr alles zu geben, was sie sich wünschte. Da sagte sie auf Drängen ihrer Mutter: Lass mir auf einer Schale den Kopf des Täufers Johannes herbringen.“
In der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde Salome zur Personifikation der Femme fatale. Oskar Wildes der Oper zu Grunde liegender Einakter war so skandalträchtig, dass die Aufführung in London verboten wurde und erst in der französischen Version 1896 mit Sarah Bernhard in der Hauptrolle in Paris auf die Bühne kam. Im Gegensatz zur biblischen Vorlage entspringt bei Wilde die Forderung, Johannes zu köpfen, Salomes Willen und nicht dem der Mutter. Die Beziehungen der Figuren untereinander sind extrem sexualisiert. Die Kindfrau Salome wird zum Objekt männlicher Lust, der sie sich verweigert: Der junge Hauptmann Narraboth bringt sich ihretwegen um, der Stiefvater Herodes bedrängt sie weiterhin. Die Lust, die Salome in anderen weckt, wird für sie zum Machtspiel und die einzige Möglichkeit, in Kontakt zu treten – sie lebt das, was ihr dekadentes Umfeld vorlebt. Liebe kennt sie nicht, erst der asketische Prophet Jochanaan weckt ihre Sehnsucht danach. Sie sucht seine Zuneigung sinnlich zu gewinnen, doch er entzieht sich ihrem Blick, verbietet ihr, ihn anzusehen „mit ihren Goldaugen unter den gleißenden Lidern“. Seine Ablehnung steigert ihr Verlangen zur Obsession, ihn ganz für sich zu vereinnahmen, auch wenn das seinen Tod bedeutet. Salomes rasende Leidenschaft kulminiert bei Strauss in einem orgiastischen Tanz, woraufhin Herodes den Wunsch Salomes erfüllt: In der Zwiesprache mit dem abgeschlagenen Kopf erfährt sie das Mysterium der Liebe und küsst den Mund Jochanaans. Auf Befehl Herodes töten die Soldaten Salome.
Die Uraufführung der Oper 1905 in Dresden stieß auf heftigen Widerspruch wegen des „unsittlichen“ Themas, doch für die Komponisten der damaligen Avantgarde war das Werk das Tor zur modernen Musik. Strauss löst sich von seinem Vorbild Richard Wagner und dem Ideal des Schönklanges und scheut die Darstellung des Hässlichen nicht. Ein solches Ausmaß an Orchesterbesetzung, an geballten Dissonanzen und Kakophonie auf der einen Seite und exotisch sinnlicher Farbigkeit auf der anderen Seite, hat es zuvor nicht gegeben.
Wo zu sehen in NRW?
Oper Köln | 4., 7., 10., 16., 18.11. | 0221 221 284 00
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