Der Regisseur Micha Lewinsky, 1972 in Kassel geboren, in der Schweiz aufgewachsen, studierte zunächst Filmwissenschaft und Psychologie. Er arbeitete als Journalist und Musiker, bevor er anfing, Drehbücher zu schreiben und Regie zu führen. „Der Freund“ von 2008 ist sein mehrfach ausgezeichnetes Spielfilmdebüt. Ein Jahr später folgte der ebenfalls prämierte Film „Die Standesbeamtin“.
choices: Herr Lewinsky, Musik spielt in Ihrem Film eine große Rolle, und die Darstellung der Szene wirkt sehr glaubwürdig. Haben Sie einen persönlichen Bezug zur Musikszene?
Micha Lewinsky: Musik war immer sehr wichtig für mich. Ich habe schon in Bands Gitarre gespielt, lange bevor ich angefangen habe, über Drehbücher nachzudenken. Das Besondere an den Musikszenen in diesem Film ist aber der Club „Helsinki“. So, wie man ihn im Film sieht, existiert er seit Jahren in Zürich. Und auch die Bands, die in „Der Freund“ zu hören sind, gehören ganz stark zur Züricher Musikszene und treten immer wieder im „Helsinki“ auf.
Die Figur der Larissa spielt die Musikerin Emilie Welti alias Sophie Hunger, die auch für den Soundtrack verantwortlich zeichnet. Wie kamen Sie auf die schauspielerisch unerfahrene Musikerin, und glauben Sie, dass die Besetzung mit einer echten Musikerin zu einem realistischen Bild beiträgt?
Dass Sophie Hunger überhaupt mitgemacht hat, war ein großes Glück für uns. Dass sie keine Schauspielerin ist, hat mich nicht gestört. Sie hat eine starke Präsenz, und sie hat sich intensiv mit der Figur auseinandergesetzt. Im Film singt sie auch einmal ein Lied live, wie es eben nur sie kann. Keine Schauspielerin könnte es da mit ihr aufnehmen.
Im Gegensatz dazu scheint die Hauptfigur Emil in seiner Hilflosigkeit und Naivität mitunter etwas überzeichnet. Wäre eine erdigere Charakterisierung, in der Emil nicht auch noch bei seiner Mutter wohnt, nicht glaubwürdiger?
So überzeichnet ist er gar nicht. Ich finde ja eher, dass das Bild der ewig potenten, selbstbewussten, lockeren und zielstrebigen Männer, das uns immer vermittelt wird, unglaubwürdig ist. Im Grunde sind viele junge Männer heute so unsicher und verträumt wie Emil. Man sieht es ihnen nur nicht gleich an.
Für Ihr Debüt „Der Freund“ erhielten Sie gleich zwei schweizerische Filmpreise, für Ihren letzten Film „Die Standesbeamtin“ wieder einen. Sie scheinen mit Ihrem Tonfall einen Nerv zu treffen. Wie würden Sie diesen Tonfall charakterisieren?
Die Definition des Tonfalls überlasse ich gerne anderen. Ich versuche einfach, Filme zu machen, die unterhalten, berühren, die lustig, traurig, ehrlich und auch ein bisschen böse sind. Und wenn mir ein Teil davon gelingt, bin ich zufrieden.
Gibt es bereits ein neues Filmprojekt?
Mit der Kölner Produktionsfirma „Wüste West“ entwickle ich einen Spielfilm, den wir mit ein bisschen Glück noch dieses Jahr drehen können. Es ist eine Adaption des zauberhaften neuen Romans „Die Herrenausstatterin“ der gebürtigen Kölner Autorin Mariana Leky.
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