Der Schlag unter die Gürtellinie: Was bei Faxenmachern minderen Kalibers platt, aufgesetzt oder auch sexistisch wirken würde, funktioniert bei Matthias Egersdörfer. Es passt zu seiner Bühnenfigur des misantrophischen fränkischen Knurrhahns. Das bekam eine Zuschauerin in den vorderen Reihen des Bonner Pantheon zu spüren, die ein Foto von Egersdörfer schoss. Da ätzte es von der Bühne herunter: Zuhause könne sie ja nun an sich herumfummeln, wenn sie es betrachte. Kein Gag wird liegengelassen, denn, so Egersdörfer zu seinem Opfer: „Ich tu halt alles, um die Arschlöcher hier zum Lachen zu bringen!“
Die Intelligenz des Publikums im Bonner Pantheon hatte Egersdörfer schon zuvor in Zweifel gezogen, da es einmal versäumt hatte, an einer passenden Stelle zu applaudieren. Dem Mann ist jede falsche Versöhnlichkeit fremd. Die Geschichten seines Soloprogramms „Ich mein’s doch nur gut“ decken das gesamte Spektrum zwischen Ernüchterung, Spott und Boshaftigkeit ab. So resultiert das gemeinsame Kochen mit der Ehefrau in der Erkenntnis, dass Königsberger Klopse auch nicht anders schmecken als irgendwelche Frikadellen. Wurscht ist ohnehin alles, Unterschiede zwischen Kopfhörern für 23 und 32 Euro gibt’s genauso wenig wie zwischen Himmel und Hölle. Beim fränkischen Grantler muss es sich demnach um einen nahen Verwandten des skeptischen „Woanders is auch scheiße“-Ruhrpottlers handeln.
Matthias Egersdörfer hat ein Gespür für das Abgründige und Eklige des Alltags und vermittelt es äußerst effektvoll in seinem Bühnenvortrag. Gerne grantelt er eine Weile vor sich hin, um dann abrupt zu einer lauten Schimpfkanonade zu wechseln. Sein Schmerzensweg zum Meister der schlechten Laune begann schon in der Schulzeit mit frustrierten Lehrerinnen. Und der erfolgreiche Versuch, mit allen „Formen des kindlichen Terrors“ die Familie zum Besuch eines Wanderzirkus zu bewegen, raubte ihm nur die Illusionen. Denn die schönen Frauen und lustigen Clowns auf dem Werbeplakat hatten weder tiefe Ringe um die Augen noch rochen sie nach Schnaps und Zigarren … Ähnlich unerfreulich sind die Zeitgenossen, mit denen er es gegenwärtig zu tun hat. Beim Beobachten seiner Mitfahrer in der U-Bahn ertappt er sich häufig bei dem Gedanken: „Wer von euch läuft gleich Amok?“ Eher unwahrscheinlich, dass der Kurzhaarige in der Bomberjacke da drüben Gedichte schreibt. Tja, Klischees prägen.
Doch bringt das Zugfahren auch handfeste Vorteile mit sich. Wo anders als auf langen ICE-Fahrten habe man schon so viel Zeit und Muße, Schuppen herauszukratzen oder in der Nase zu bohren? Experte Egersdörfer erklärte den Unterschied zwischen herkömmlichem Popeln und „Puppeln“, also quasi Popeln für Fortgeschrittene, dessen beachtliche Resultate er voller Stolz mit Diamanten vergleicht. Eher nachteilig im Zug: Das Warten auf den Brezelmann – oder auf Anschlusszüge. Da fängt der fuchsteufelswilde Reisende nach fünf Jahren Entzug glatt wieder mit dem Rauchen an, um die Luft am Wartebahnhof möglichst gründlich zu verpesten.
Jeder Wüterich braucht einen Ruhepunkt, an dem er die cholerische Seele ein bisschen baumeln lassen kann. Bei Egersdörfer hält die relative Ruhe, die ihm das Bahnen ziehen im Schwimmbad verschafft, nur nicht lange an – trotz „state-of-the-art“-Sommer. Denn nach dem Baden muss er immer den Fünf-Cent-Fön benutzen, was ihn erneut in Rage versetzt. Zum passenden Abschluss seiner ausgedehnten Schwimmbadgeschichte versinkt er in den Fluten, nachdem er vorher „Gundel, die Honigbiene“ versehentlich verschluckt hat.
Langer und kräftiger Schlussbeifall, nach dem Egersdörfer zum geschäftlichen Teil des Abends überleitete und mit CDs, DVDs und Büchern auf die Bühne zurückkam. Und den Zuschauern ein Angebot machte, dass eine ganze Reihe von ihnen offensichtlich nicht ablehnen konnte: Statt einem einfachen Autogramm könne er auf Wunsch auch einen „Pimmel“ als Signatur auf Buch, CD oder DVD malen. Der Mann bevorzugt eine klare, direkte Sprache. Damit müssen Sie rechnen, wenn Sie sich zu Egersdörfer ins Kabarett setzen.
Erst 2012 kommt Egersdörfer wieder nach NRW: Am 12.1. in die Galerie am Schloss in Brühl, am 21.1. in die Kölner Comedia.
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