Montag, 28. August: Die Flüchtlingsthematik war noch lange nicht so stark in den Medien präsent, als Regisseur Jakob Preuss im Jahr 2011 mit den Recherchen für einen Dokumentarfilm begonnen hat. Das Konzept erklärt er im jetzt fertigen Film „Als Paul über das Meer kam“ als Voice-Over: Er ist in einem geteilten Berlin nahe der Grenze aufgewachsen. Die ist heute unglaublich weit weg, und trotzdem hat er zunehmend das Gefühl, dass es wichtig für ihn ist, was dort passiert. Er reist also an die EU-Außengrenzen, fährt bei Frontex-Einsätzen mit, reist nach Melilla, die spanische Exklave auf dem afrikanischen Kontinent. Der Film beginnt mit den bekannt gewordenen Bildern von Golf spielenden Europäern vor meterhohen Zäunen, auf denen sich Menschen auf der Flucht festhalten. Preuss wechselt die Seite – für Europäer ein Kinderspiel – und besucht die Camps im Wald, in denen die Flüchtlinge auf den besten Moment zur Überfahrt oder zum Sturm auf den Zaun warten. Hier lernt er Paul Nkamani kennen, der ihn durch das Camp führt. „Das Konzept des Films hat sich zwei Mal sehr stark verändert: als ich die Menschen in Melilla kennengelernt habe. Und als ich erfahren habe, dass Paul die Überfahrt nach Europa gelungen ist.“
Der zweite Punkt bringt dann auch den geplanten Abstand zwischen dem dokumentierenden Filmemacher und seinem Protagonisten gehörig ins Wanken. Der schafft es zwar nach Europa, doch das Erlebnis muss traumatisch gewesen sein: Die Hälfte der Menschen auf dem Boot sterben bei der Überfahrt. Die Frage an Paul, was er am liebsten vergessen würde beantwortet er natürlich mit dieser Reise. Paul Nkamani arbeitet inzwischen in Vollzeit in der Altenpflege. „Ich muss auch hier kämpfen“, sagt er. Die Erwartung an Europa war eine andere, angefeuert auch durch Fotos in sozialen Medien, wie im Film deutlich wird.
Viele aktive Helfer der Willkommensinitiativen sitzen im Kölner Publikum, und so werden im Gespräch auch die ganz praktischen Probleme deutlich. Ohne Pass ist Paul in Deutschland nur geduldet, weil sein Heimatland Kamerun ihn zurzeit nicht zurück nimmt. Gegen eine Abschiebung würden nur die Heirat helfen, ein Kind oder theoretisch eine Ausbildung. Für die aber müsste er seinen Schulabschluss nachweisen. Ein solches Dokument könnte wiederum zur Identitätsklärung genügen, was dann zur Abschiebung führen kann. So lebt er zurzeit in der ständigen Angst davor, in seine Heimat zurück zu müssen, obwohl er hier Arbeit hat und tatkräftig unterstützt wird. Auch von Filmemacher Preuss und seiner Familie.
Die Beziehung zwischen dem Flüchtenden und dem dokumentierenden Journalisten ist ein roter Faden des Films. Beim Kölner Premierenpublikum stehen die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen aber weniger im Mittelpunkt, als das Schicksal Pauls. Dessen Erlebnisse dokumentierend gelingt es dem Film, viele Probleme unserer Zeit in ihrer ganzen Ambivalenz sichtbar zu machen, die sonst so oft untergeht: wenn zum Beispiel Paul selbst scheinbar für (kontrolliert) geschlossene Grenzen argumentiert. Als der Film kürzlich auf einem Festival in Kamerun gezeigt wurde, erzählt Jakob Preuss, gab es offene Diskussionen über die Wirkung dieser Fluchtgeschichte auf die Einheimischen. Ob sie eher animiert oder vom Aufbruch abschreckt. Einig war man sich offenbar nicht.
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