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Irina Vavitsa, Nuria Cafaro und Mirjam Baumert vom Filmhaus
Frank Brenner

Stark durch Solidarität

04. Dezember 2024

„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24

Dienstag, 3. Dezember: Als Gemeinschaftsveranstaltung des Kölner Frauengeschichtsvereins und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen hatte das Filmhaus-Kino Köln zu einer weiteren Veranstaltung der Reihe „Ihr Kampf ist unser Kampf“ eingeladen. Im voll besetzten Kinosaal kamen zunächst zwei historische Kurzdokumentationen zur Projektion, die das Futter für die anschließende Diskussionsrunde liefern sollten. Den Anfang machte der 1973 bei den Kurzfilmtagen Oberhausen gelaufene Zehn-Minüter „Provisorisches Leben“ von Prvoslav Maric, der hier Interviews mit Fremdarbeitern aus dem ehemaligen Jugoslawien in Deutschland durchgeführt hatte. Der Anteil der zu Wort kommenden weiblichen Arbeiterschaft war hier noch sehr gering. Das änderte sich dann beim zweiten Film des Abends, „Billige Hände – Ausländische Arbeiterinnen in Deutschland“, den Edith-Schmidt-Marcello 1969 für den Hessischen Rundfunk realisiert hatte. In der 30minütigen Kurzdokumentation in Schwarz-Weiß kam u.a. bereits der junge Journalist Günter Wallraff zu Wort, das Hauptaugenmerkt der Filmemacherin lag aber in der Tat bei den Arbeiterinnen, die aus Ländern wie der Türkei, Italien, Spanien oder dem damaligen Jugoslawien zur Unterstützung in deutsche Unternehmen geholt worden waren. Schmidt-Marcellos Film lässt nicht nur die Frauen selbst zu Wort kommen, die verschämt von Misshandlungen durch die deutschen Meister berichten oder anonym über ihre Streikpläne sprechen, sondern zeigt auch deren menschenunwürdige Unterkünfte, die weder hygienischen Mindeststandards genügten noch ausreichend Platz für die oft mehrköpfigen Familien boten.


Gewerkschaftlerin Irina Vavitsa berichtet, Foto: Frank Brenner

Schlechte Arbeitsbedingungen

Nuria Cafaro von der Rosa-Luxemburg-Stiftung moderierte die Gesprächsrunde des Abends und präsentierte mit der in Russland geborenen Griechin Irina Vavitsa einen Stargast mit bewegter Vergangenheit. Seit 1971 lebt Vavitsa in Deutschland und hat seit dieser Zeit beim Automobilzulieferer Hella in Lippstadt gearbeitet, wo sie sich als langjährige Betriebsrätin und als Mitglied des Migrationsausschusses der IG Metall verdient gemacht hat. Obwohl sie 2016 verrentet wurde, ist Vavitsa nach wie vor gewerkschaftlich engagiert und macht sich für bessere Arbeitsbedingungen stark, insbesondere auch für migrantische ArbeiterInnen. Cafaro erläuterte, dass sie ihre aktuelle Filmreihe zum 50. Jubiläum der wilden Streiks aus dem Jahr 2023 initiiert hätten, die in Köln vor allem durch den damaligen Ford-Streik noch in guter Erinnerung sind. Diese Streiks seien „vor allem von migrantischen Arbeitskräften getragen worden, die sich so mit ihren schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen auseinandergesetzt“ hätten. In der Diskussionsrunde mit dem Publikum wurde fast ausschließlich auf Schmidt-Marcellos Film Bezug genommen. Hinsichtlich des Films „Provisorisches Leben“ gab es allerdings die Kritik, dass die deutschen Untertitel das Serbokroatisch der Interviewten allzu wörtlich wiedergegeben hätten, wodurch der Sinn der Aussagen aber verfälscht worden sei. „Billige Hände“ stieß hingegen auch 55 Jahre nach seiner Entstehung noch auf überaus positive Resonanz. Irina Vavitsa betonte, dass alles im Film Dargestellte stimme, wie sie aus eigener Erfahrung bezeugen könne. Meldungen aus dem Kinosaal unterstrichen, wie fortschrittlich und mutig die Perspektive des Films auch für unsere Zeit noch sei.


Irina Vavitsa und Nuria Cafaro beim Filmgespräch, Foto: Frank Brenner

Gemeinsam etwas erreichen

Im Gespräch erläuterte Vavitsa, dass sie bei Hella damals zwar in einem tarifgebundenen Betrieb angestellt gewesen sei, als Frau und Migrantin aber trotzdem unter Tarif bezahlt worden sei. Nuria Cafaro merkte an, dass genau für diesen Zweck damals das Prinzip der Leichtlohngruppen eingeführt worden sei, wodurch es „legal wurde, diese Frauen weniger gut zu bezahlen.“ Viele im Publikum erfuhren durch den Film „Billige Hände“ zum ersten Mal davon, dass es oftmals Frauen waren, die als erste Migranten nach Deutschland kamen, in der Hoffnung, ihre Ehemänner und Kinder später nachholen zu können. Irina Vavitsa entkräftete anschließend auch das Stereotyp, dass etliche der Fremdarbeiter ungebildete Analphabeten gewesen seien, oftmals aus entlegenen Regionen Ost-Anatoliens. „Durch den Mauerbau fehlten in Berlin beispielsweise etliche Facharbeiter, die man dann aus der Türkei anwerben ließ“, ergänzte die Gewerkschaftlerin. Zu den wilden Streiks Anfang der 1970er Jahre sei es gekommen, weil „freiwillige Zulagen“ lediglich deutschen Facharbeitern zuerkannt worden waren. „Wie konnte der Betriebsrat die ausländischen Arbeiter dabei aussparen?“, so Irina Vavitsas rhetorische Frage am Abend. Das sei damals der Auslöser gewesen, gegen diese Ungerechtigkeiten auf die Straße zu gehen und zu streiken, ohne sich dabei um das Streikverbot zu kümmern. „Es gab damals eine große Solidarität zwischen allen Fremdarbeitern, unabhängig von deren Nationalität“, sagte Vavitsa. Der von den Arbeitgebern forcierten Spaltung zwischen den unterschiedlichen Fremdarbeitern müsste man beherzt entgegentreten, denn beim Kampf für die eigenen Interessen kann man nur gemeinsam und solidarisch etwas erreichen.


Das gut besuchte Filmhaus-Kino, Foto: Frank Brenner
Frank Brenner

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