Donnerstag, 23. Mai: Schon auf der diesjährigen Berlinale hatte der zweite Langfilm des in Köln aufgewachsenen Filmemachers Michael Fetter Nathansky („Sag du es mir“) in der Sektion Panorama für Aufsehen gesorgt. Denn „Alle die du bist“ ist ein stilistisch und darstellerisch äußerst reizvolles Liebes- und Charakterdrama, das in dieser Form nicht nur in der deutschen Kinoszene ungewöhnlich anmutet. Für den Regisseur und seine Produzentin Virginia Martin, die er seit seinem Filmstudium kennt und mit der er schon mehrfach zusammengearbeitet hat, war die NRW-Premiere in Köln so etwas wie ein „Homecoming“. Nicht nur, dass Fetter Nathansky seine privaten Wurzeln in Köln hat, wurde „Alle die du bist“ auch größtenteils in und um die Domstadt herum gedreht. Deswegen waren am Abend im Odeon-Kino jede Menge Mitglieder aus Cast und Crew zur Filmvorführung anwesend, so dass nach der Projektion im ausverkauften Saal der Platz auf der Bühne für die Mitarbeitenden am Film knapp wurde. Die NRW-Premiere bildete den Auftakt für eine Kinotournee zum offiziellen Kinostart am 30. Mai, die Michael Fetter Nathansky und seine Hauptdarsteller:innen Aenne Schwarz und Carlo Ljubek in den kommenden zehn Tagen noch in 15 Städte führen wird. Bereits vor der Filmvorführung stellte der Regisseur auch einen persönlichen Bezug zum Odeon-Kino her, in dem er „so viele Filme gesehen“ habe, die ihn „berührt und beeinflusst“ hätten. Im anschließenden Filmgespräch erläuterte der Regisseur weiter, dass er seine Drehbücher vom Dialogschreiben her aufzäume und dass er für seine Figuren eine Sprache oder einen Dialekt brauche, wodurch sich dann automatisch alles andere ergeben würde.
Selbstverständlichkeit des Arbeitermilieus
Nicht nur die Form und Gestaltung von „Alle die du bist“ ist ungewöhnlich, auch das soziale Setting des Arbeitermilieus kommt heutzutage in deutschen Film- und Fernsehproduktionen viel zu selten zum Einsatz. Fetter Nathansky erläuterte beim Filmgespräch, dass das Arbeitermilieu häufig „bemitleidet oder romantisiert wird, ich wollte dem in meinem Film eine Selbstverständlichkeit geben.“ Gleichzeitig ist „Alle die du bist“ auch ein skurriler Liebesfilm, bei dem vergangenen Gefühlen und Erinnerungen nachgespürt wird, die auf originelle und verschachtelte Weise im Film visualisiert werden. Offensichtlich ist dabei, dass der männliche Part Paul, der überwiegend von Carlo Ljubek dargestellt wird, in verschiedenen Szenen seine Gestalt wechselt, mal Kind, mal junger Mann, mal alte Frau und mitunter auch eine Kuh ist. Aber diese im Titel bereits angelegte Vielgestaltigkeit Pauls bezieht sich gleichsam auch auf die weibliche Protagonistin Nadine, die trotzdem durchweg von Aenne Schwarz verkörpert wird. Die Schauspielerin resümierte nach der Filmprojektion, dass man „in Filmen ohnehin immer nur eine Facette eines Menschen spielen“ könne, und dass man „mit dem Gegenüber in voller Wahrhaftigkeit eine Situation spielen“ müsse. Das sei für sie in diesem Film insofern keine allzu große Umstellung gewesen, auch wenn ihr Gegenüber „Paul“ in den verschiedenen Szenen von unterschiedlichen Menschen (und einem Tier) gespielt wurde. Carlo Ljubek hingegen betonte, dass es für ihn durchaus schwer gewesen sei, „den anderen dabei zuzuschauen, wie sie Paul spielen“. Denn am liebsten hätte auch er die Figur in sämtlichen Szenen des Films selbst dargestellt, konnte aber natürlich sofort nachvollziehen, warum sich Michael Fetter Nathansky auf dieses intellektuell fordernde Experiment eingelassen hatte.
Einzigartige Industriekulisse
Auf Nachfrage, ob es für die Produzentin Virginia Martin nicht schwierig gewesen sei, solch einen eigenartigen Film zu finanzieren, erläuterte sie: „Die Geschichte hat sich für mich immer richtig angefühlt. Micha und ich kennen uns schon so lange und teilen mittlerweile eine gemeinsame Weltsicht. Obwohl einige der Finanziers zunächst ratlos auf die Grundidee reagierten, hat mich das nie an dem Projekt zweifeln lassen.“ So manche Szene, in der die Darsteller Pauls fließend und ohne Schnitt in einer Einstellung wechseln, stellte die Produktion vor logistische Herausforderungen. Wie Martin erzählte, wurden gerade diese komplizierteren Choreografien im Vorfeld ausgiebig geübt und mit Produktionsmitgliedern als Laiendarstellern auch bereits filmisch festgehalten. Dass einige Filmemacher:innen Szenen immer wieder aufs Neue spielen lassen, könne laut Carlo Ljubek enervierend sein. Bei Fetter Nathansky habe er aber immer das Gefühl gehabt, „dass eine weitere Wiederholung noch eine neue Chance“ böte. Außerdem habe der Regisseur hier „ein Drehbuch geschrieben, das erzählt werden musste“. Am Ende des Publikumsgesprächs schlug man dann auch wieder den Bogen zu den Drehorten in Köln und Umgebung. Wie Virginia Martin konstatierte, sollte die Geschichte unbedingt in einer Industriekulisse spielen. Die Locations dafür seien überaus wichtig gewesen, und in ganz Deutschland hätte es dafür kaum andere passende Alternativen gegeben. „Alle die du bist“ wird vom Port-au-Prince-Filmverleih am 30. Mai bundesweit in die Kinos gebracht und läuft dann u.a. auch weiterhin im Kölner Odeon-Kino.
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