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Romeo Castellucci: FOLK.
© Wonge Bergmann / Ruhrtriennale, 2012

An ihren Schuhen sollt Ihr sie erkennen

07. September 2012

Theatrale communio bei der Ruhrtriennale - Theater in NRW 09/12

Kniehoch steht das Wasser in dem gewaltigen Planschbecken, das die die eingenebelten Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord fast zu einem Drittel füllt. Ein älterer Mann in der Mitte des Bassins blickt erwartungsvoll eine blonde junge Frau an, die mit strahlendem Gesicht auf ihn zu watet. Er taucht ihren Kopf rücklings kurz unter Wasser. Die Frau schlägt ergriffen und gerührt die Hände vors Gesicht. Eine letzte Umarmung, dann verlässt der Alte das Becken, während die Frau den nächsten Täufling erwartet. In einer langen Reihe besteigen Frauen und Männer das Becken und unterwerfen sich dem Ritual.

Romeo Castellucci, der italienische Performer, bildende Künstler und Kopf der Gruppe „Societas Raffaele Sanzio“ untersucht in seiner neuen Produktion „Folk.“ bei der Ruhrtriennale die konstituierenden Momente von Gemeinschaften. So schön die bunte Welt der Individualisierung sein mag, Menschen schließen sich aus dürftigsten Anlässen zusammen, ob das nun die Apple-User oder Süßwein-Liebhaber sind. Doch wer gehört dazu und wer nicht? Woher das Bedürfnis, sich zuammenzuschließen und welche Rituale braucht es? Die etwa 100 Statisten und Akteure in Alltagskleidung sind unter den 200 Zuschauern kaum auszumachen, man erkennt sie allenfalls an ihren leichten Leinenschuhen. Zusammen bilden alle eine theatrale communio. Die einen hüpfen ins Wasser, die anderen bleiben trocken und schauen. Doch der Funke der Erleuchtung will nicht recht überspringen. Castelluccis simples Initiationsbild kommt der prekären Balance jeder Gemeinschaft zwischen Freiheitsverzicht und Sicherheitsgewinn, Gleichheit und Individualität nicht wirklich bei. Sein hoher und schlagender Symbolgehalt steht in keinem Verhältnis zur realen Komplexität des Themas.

Wer sich zusammenschließt, grenzt sich kulturell und kommunikativ gegen Außenstehende ab. Wir hier drinnen, ihr da draußen – das ist die Devise. Mit Donnerschlägen prallen plötzlich Gegenstände an die milchigen Rundbogenfenster in Duisburg. Man braucht einige Zeit, um zu realisieren, dass es sich um Menschenkörper handelt, die entfernt an Hitchcocks Film „Die Vögel“ denken lassen. Besucher und Akteure rücken unwillkürlich zusammen. Doch die bedrohlichen Schattenwesen entpuppen sich bald als verzweifelte Ausgeschlossene, die gegen das Glas hämmern und offenbar um Einlass begehren – bis sie in Kreuzigungshaltung nach hinten wegkippen.

Die Täuflinge ziehen schließlich den Stöpsel am Bassin und fluten die Gebläsehalle. Die Wassermassen schießen in den Raum und wer keine nassen Füße bekommen will, flüchtet auf die seitlichen Gitterroste. Es wird urwaldfeucht. Am Ende sitzt ein verzweifelter alter Mann in der Mitte des Raumes und versucht (religiöse) hölzerne Symbole wie Halbmond, Dreieck oder Kreis in vorgestanzte Löcher zu stecken. Dass es sich auch das Thema Demenz gehen soll, wie das Programmheft suggeriert, bleibt eher Behauptung – wie so vieles an diesem Abend. Anders als noch bei seinem bewegenden Stück „On the Concept of the Face, Regarding the Son of God, vol.1.“ beim Theater der Welt-Festival erschöpft sich Castelluccis stummes Konzepttheater diesmal in der selbstgenügsamen Mehrdeutigkeit seiner Bilder.

Hans-Christoph Zimmermann

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