Auf dem Cover des Essener Spielzeithefts ist der Schauspieler Sven Seeburg zu sehen, dem Ohr und Nase mit je einer Möhre verstopft sind. Daneben prangt der Schriftzug „Mit Essen spielt man nicht“. Eine Metapher mit Ausrufezeichen, die im Heft zwischen Stadtprojekt, Benimmregel und Putenschnitzel erschöpfend durchdekliniert wird. Stilsicher ist das nicht gerade. Doch Essens neuer Schauspielintendant Christian Tombeil will die Metapher politisch verstanden wissen. Er sieht die Stadt als Spielball von Landesund Bundespolitik, deren Strukturwandel zu Kulturmetropole nun gefährdet sei. Die Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort seien inzwischen gering. Man wolle eine Denkanregung über den Umgang mit geistiger und realer Nahrung geben, so der früher künstlerische Betriebsdirektor der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach.
Der gebürtige Franke tritt kein leichtes Erbe an. Vorgänger Anselm Weber, der nun in Bochum amtiert, hat Essens Schauspiel auf neue Höhen geführt. Tombeil will darauf aufbauen. Essen sei eine geteilte Stadt, und man wolle den migrationsgeprägten Norden mit dem reichen Süden ins Gespräch bringen. Und zwar mit Projekten, die dicht am Bürger seien und die Stadt, ihre Geschichte und ihre Gestaltung betreffen. Das nimmt zwar den Gedanken der Weberschen Stadtprojekte auf, doch das Grillotheater soll wieder verstärkt zum Zentrum und Treffpunkt werden, in dem auch „Künstler von der Straße“ ihren Platz finden sollen. Dazu wird die Theaterpädagogik personell erheblich aufgestockt. „Da hoffe ich auf große Nachhaltigkeit“, so der neue Intendant.
Im Spielplan dominieren angloamerikanische Dramatiker (Dennis Kelly, Eric Bogosian, Catheleen Rosaert), an denen Tombeil schätzte, „dass sie Sujets in einer Form anpacken, die die Tabuisierung von Themen aufbricht“. Diese Themen lauten „Heimat“, „Krise“, „Ankommen, um dazubleiben“. Ein HipHop-Projekt von Samir Akika, ein Heimat-Projekt von Bernarda Horres sowie Filmdramatisierungen und zahlreiche Kinder- und Jugendprojekte ergänzen den Spielplan. Klassiker (Kleists „Prinz von Homburg“, Thomas Manns „Die Buddenbrooks“) und zeitgenössische deutschsprachige Dramatik sind dagegen rar.
Die Kardinalfrage bleibt, mit wie viel Geld Tombeil dieses Programm verwirklichen will. Die angedachte Fusion mit Oberhausen und die „Konsolidierung mit dem Holzhammer“, wie der neue Intendant das nennt, sind zwar vom Tisch. Nichtsdestotrotz wird der Etat des Essener Schauspiels von 3,5 auf 3 Mio. Euro abgesenkt. Erreicht werden soll das durch Einsparungen im Management, bei Druckerzeugnissen und durch Streichung von zwei Schauspielerstellen. Zur Zukunft äußert sich Tombeil vorsichtig optimistisch: „Im Moment habe ich die Zusage, dass es so bleibt“. Für alle Fälle hat Essens Kulturdezernent Bomheuer angeregt, dass die Ruhrtheater durch gemeinsamen Materialeinkauf oder Koordination von Druckerzeugnissen Geld sparen könnten. Die Ruhrmetropole gewinnt Kontur – zumindest was die Einsparungen anbetrifft.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23
Analoge Zukunft?
Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund eröffnet ihren Neubau – Theater in NRW 10/23
Tausch zwischen Wien und Köln
Kay Voges wird Intendant des Kölner Schauspiels – Theater in NRW 09/23
Folgerichtiger Schritt
Urban Arts am Theater Oberhausen – Theater in NRW 08/23
Neue Allianzen
Bühnen suchen ihr Publikum – Theater in NRW 07/23
Interims-Intendant für den Neuanfang
Rafael Sanchez leitet ab 2024 das Schauspiel Köln – Theater in NRW 06/23
And the winner is …
Auswahl der Mülheimer Theatertage – Theater in NRW 04/23
Knappheit und Kalkulation
Besucher:innenzahlen am Theater steigen – Theater in NRW 03/23
Gegen Ausbeutung und Machtmissbrauch
Klassenkämpferischer Wind weht durch die Theater – Theater in NRW 02/23
Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Bessere Konditionen
EU stärkt Solo-Selbstständige im Theater – Theater in NRW 11/22
Internationale Vernetzung
Olaf Kröck verlängert Vertrag bei den Ruhrfestspielen – Theater in NRW 10/22