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Persische Vibes im Filmpalast
Foto: Siamak Poursharif

Ein Riss in der Wand

08. Dezember 2018

Das erste iranische Dokumentarfilmfestival im Filmpalast – Festival 12/18

Ein Experiment, eine Vision, ein Festival allein für den iranischen Dokumentarfilm – auch um herauszufinden, ob solch ein Festival eine Zukunft hat. Nachdem im vergangenen Mai das fünfte iranische Filmfestival stattfand, veranstaltete die Latina Magica am vergangenen Wochenende mit Unterstützung der Stadt Köln und des Auswärtigen Amtes das erste iranische Dokumentarfilmfestival im Filmpalast. Filmproduzent und Leiter Siamak Poursharif sah auf jeden Fall großen Bedarf: Dokumentarfilme spielen im Iran eine zentrale Rolle und machen auf Missstände und Probleme aufmerksam. Da dies nicht immer unterstützt wird, seien rund 70 % der jährlich produzierten Dokumentarfilme im Iran privat finanziert, besagt die Website des Festivals. Viele der Gäste sind aus dem Iran eingeflogen. Bereits mehrere der anwesenden Filmproduzenten und Aktivisten standen wegen ihrer Arbeiten im Iran vor Gericht, einer von ihnen ist der Wissenschaftler und Umweltaktivist Kaveh Madani aus Teheran, der als Gastsprecher die Eröffnungsfeier am Freitag begleitete. 

Der Eröffnungsabend stand ganz im Zeichen des Umweltschutzes. Kaveh Madani, als er noch Chef des iranischen Umweltamtes war, versuchte den Wassermangel zu bekämpfen. Dieses Jahr wurde er verhaftet, weil seine Arbeit wurde als Spionage-Projekt betrachtet wurde. Nach seiner Freilassung verließ er das Land. Nun sähe er mit an wie es „langsam stirbt“. Ein Großteil der iranischen Bevölkerung sehe dies jedoch nicht. Das Umweltbewusstsein der Iraner sei heute, im Gegensatz zu früheren Generationen, sehr gering. Filme wie die gezeigten dienten als eine Erinnerungsstütze, so Madani, die vor allem in unterentwickelten Ländern wichtig sei. Er zeigte sich bestürzt von der Blindheit in seinem Land: „Wir wissen viel über unsere Kultur, aber nicht was 50 km entfernt von uns passiert.“ So wie das Austrocknen des Sees Hamoun, das jahrelang erkennbar gewesen, jedoch trotzdem ignoriert worden sei – von der Bevölkerung, die nicht unmittelbar von den Folgen der Dürre betroffen war, aber vor allem von der tatenlosen Regierung.

Die Folgen der Austrocknung zeigt der Dokumentarfilm „Once Hamoun“ (Regie: Mohammad Ehsani, 2017). Mitreißend wird das trostlose Leben der Bevölkerung im Umkreis des Sees gezeigt, der einst die Quelle des Lebens, der Beschäftigung und Arbeit unzähliger Menschen war. Fischer, die auf ihren verrotteten Fischerboten sitzen oder die nutzlos gewordenen Fischernetze in die Kamera strecken, hungrige Kinder, Hoffnungslosigkeit – und sehr viel Wut auf eine Regierung, die nichts tut.

Mit einer anderen weitverbreiteten Umweltproblematik, der Luftverschmutzung in iranischen Großstädten, beschäftigt sich der Dokumentarfilm „Smoke“ (Regie: Mohammad Ehsani, 2018). Die Kamera begleitet kommentarlos Einwohner in Teheran, die die Auswirkungen der Schadstoffbelastung auf verschiedenste Weise spüren: lungenkranke Patienten, Kinder, die ihre Stadt unter einem dunkelgrauen Schleier wahrnehmen, Taxifahrer, die von der Angst der Fahrgäste berichten. Die erschütternden Bilder wirken auf den deutschen Zuschauer beinah irreal, was sie aber nicht zu sein scheinen. „Die Aufgabe eines Dokumentarfilms ist es, die Wahrheit zu reproduzieren.“ sagt Madani. „Tatsächlich ist die Wahrheit aber noch viel schlimmer.“

„Smoke" von Mohammad Ehsani 

Bei der Preisverleihung am Sonntag wurden die beiden Gewinner in der Kategorie Lang- und Kurzfilm gekürt. Die dreiköpfige Jury wurde bewusst deutsch-iranisch aufgestellt, bestehend aus dem iranischen Filmproduzenten und Mitgründer der Iranian Documentary Cinema Association Ebrahim Mokhtari, der deutschen Kinokritikerin Ursula Bessen und Ehsan Djafari, Filmproduzent und Vorstandsvorsitzender der Iranischen Gemeinde in Deutschland.

Als den besten langen Dokumentarfilm wählten sie den bereits mehrfach ausgezeichnete Film „20th Circuit Suspects“ (2018) aus, ein Film über eine Bande krimineller Jugendliche. Die Geschichte hinter dem Film scheint beinah unglaublich: Der Regisseur Hesam Eslami versuchte schon lange das Leben von Jugendstraftätern und die verbundenen sozialen Missstände einzufangen, jedoch gelang es ihm nicht, einen Zugang zu den Jugendlichen zu finden. „Es war als stünde eine dicke Wand zwischen mir und den Jugendlichen“, berichtet er gegenüber choices. Das habe sich schlagartig geändert, als sein Auto gestohlen wurde. Anstatt die Jugendlichen anzuzeigen, habe er die Bande gefragt, ob er sie mit seiner Kamera begleiten dürfe. Das tat er dann auch – 6 Jahre lang. „Es war wie ein Riss in der Wand, ein Loch  – und plötzlich war ich drin. Ohne den Vorfall hätten sie niemals zugelassen, dass ich ihnen so nahe käme.“ Die Aufnahmen geben einen einzigartigen, intimen Einblick in das Leben der Jugendlichen, mit Diebstählen, Verfolgungsjagden, Inhaftierungen.

Der Preis für den besten Kurzfilm ging an „Rock“ (Regie: Hamid Jafari, 2018), der den Alltag einer Frau im Süden des Irans zeigt, die täglich Steine von einem Berg abträgt, von deren Verkauf sie ihre Familie ernährt. „Der Film schafft es kommentarlos, ausschließlich mit Hilfe einer beobachtenden Kamera, in kürzester Zeit kraftvoll und prägend die Belange einer Frau aufzuzeigen, die versucht das schwere, steinige Leben zu meistern“, so Ehsan Djafari.

Nach der Preisverleihung wurde die restaurierte Fassung des 1967 entstandenen Films „The Night It Rained“ gezeigt. Der Film, der ironisch und subtil unterschiedliche politische Ansichten und soziale Realitäten aufzeigt, kostete den Regisseur Kamran Shirdel damals seinen Job. Erst sieben Jahre nach Veröffentlichung wurde den Film erstmalig gezeigt, hat jedoch bis heute keine Aufführungserlaubnis im Iran bekommen. Trotz fehlenden Untertiteln konnte der Film cineastisch überzeugen und einen würdigen Abschluss für ein interessantes Festivalwochenende bilden. Die Veranstalter planen schon eine Fortsetzung des Festivals. Hoffentlich finden dann auch mehr deutsche Zuschauer den Weg in den Kinosaal. 

Sophie Mallmann

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