Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26 27 28 29

12.581 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Jimmy Scott im Studio
Foto: © Kemper Music Production

Behalte dein Vertrauen!

30. August 2016

Deutschland-Premiere „I Go Back Home – Jimmy Scott“ bei See the Sound – Foyer 08/16

Freitag, 26. August: Bei „See the Sound“, dem Filmfestival von SoundTrack_Cologne, fand die Deutschland-Premiere von „I Go Back Home – Jimmy Scott“ statt über den nahezu vergessenen, amerikanischen Jazz-Sänger Jimmy Scott (1925-2014), der mit seinem gefühlvollen Gesang seine Zuhörer bezauberte. „Little Jimmy Scott“ hörte aufgrund einer Krankheit mit 12 auf zu wachsen, hatte eine kleine Statur und rauhe Sopranstimme, die die Seele des Blues ausdrückte. Er war mit Billie Holiday und Charlie Parker befreundet, arbeitete mit Lionel Hampton und Ray Charles zusammen. Nach einem Karriereknick rückte er in den 1990ern erneut ins Rampenlicht. Bereits mit 18 besaß der Düsseldorfer Musikproduzent Ralf Kemper seine Platten. Doch erst 2006 traf er den Sänger persönlich und lauschte seiner einzigartigen Stimme. Damals entstand die Idee, ein Album mit der letzten Ikone des „Golden Age of Jazz“ zu produzieren. Dass daraus auch ein Film hervorging, war eher Zufall. Kemper lud den jungen Filmemacher Yoon-ha Chang ein, ihn nach Las Vegas zu begleiten. Dort erlebte er jedoch einen Schock: Der damals 85-jährige Jimmy Scott saß nach einem Unfall apathisch im Rollstuhl. Aus seinem Mund kam nur ein Krächzen. Das Projekt schien zu Ende, bevor es begonnen hatte.


Produktionsteam mit Ralf Kemper (2.v.r.) und Yoon-ha Chang (3.v.r.), Foto: Stephanie Englert

In dem anschließenden Gespräch im Filmforum NRW erinnert sich Ralf Kemper: „Ich dachte nur ‚Mein Gott‘. Ich wusste um Jimmys finanzielle Lage. In diese Situation kam der Musiker, Schauspieler und Oscar-Preisträger Joe Pesci und riss Jimmy aus der Lethargie. Er wirkte wie eine Energiespritze.“ Kemper beschloss, weiterzumachen. Ein Studio wurde gemietet, Musiker und ehemalige Weggefährten wie Quincy Jones und James Moody wurden eingeladen mitzuspielen. Das Wunder geschah: Jimmy Scott blühte auf. Es ist zugleich der Wendepunkt des Films, der bis dato mit verwackelten, unscharfen Kameraeinstellungen eher irritiert hatte. In dem Moment, als der alte, gebrechliche Jazz-Virtuose die ersten Takte singt, halten die Zuseher – im Studio wie im Kinosaal – den Atem an. Es berührt, ergreift, bewegt.


Ralf Kemper bindet Jimmy Scott die Krawatte, Foto: © Kemper Music Production

Beim nächsten Song brandet spontan Zwischenapplaus auf. Das über die Leinwand transportierte Gefühl korrespondiert mit den Aussagen der Produktionsbeteiligten: „Das Besondere an dem Film war die Begegnung mit Jimmy Scott. In dem Moment, in dem er einen Raum betrat, veränderte sich die Stimmung. Sein Spirit beeindruckte die Menschen.“ Obwohl der Sänger über weite Teile des Films kaum spricht, vermitteln seine Gestik und Mimik seine Hingabe an die Musik und ihre Botschaft. Ray Charles sagte über ihn: „Dieser Mann weiß alles über Gefühle. Er definierte, was es heißt, dem Gesang eine Seele zu geben, lange bevor irgendjemand dieses Wort benutzte.“

Es ist diese Magie, die Ralf Kemper veranlasst weiterzumachen, obwohl sich der Produktion zahlreiche Hindernisse in den Weg stellen: Berühmte Musiker sagen ihre Teilnahme ab, ein wichtiger Produzent lehnt die Vermarktung des Albums ab, die Kosten explodieren. Das Projekt zog sich über sieben Jahre, der Schnitt von 750 Stunden Material dauerte anderthalb Jahre, erzählt Regisseur Yoon-ha Chang. Noch ist unklar, ob die Produktionskosten je hereinkommen werden. Am 4. November wird Kemper die entstandenen Musikaufnahmen veröffentlichen. Die Zuseher im Filmforum NRW dankten ihm bereits jetzt mit tosendem Applaus und bewegten Worten. So wird Jimmy Scotts Aussage nach einem Leben voller Höhen und Tiefen zum Wegweiser: „Behalte Dein Vertrauen!“

Bei der Preisverleihung am Sonntag erhielt der Film den Musikdokumentarfilmpreis.

Katja Sindemann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Jazz-Highlight im neuen Jahr
David Murray Quartet im Stadtgarten

Trotz finanziell angespannter Lage
Konzerte im Kölner Stadtgarten im Januar – Improvisierte Musik in NRW 01/25

Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24

Intime Weltenwanderer
Markus Stockhausen und Ferenc Snétberger im Parkhotel Engelsburg – Improvisierte Musik in NRW 12/24

Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24

Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24

Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24

Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24

Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24

Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24

Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24

Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24

Foyer.

HINWEIS