Es gibt zwar „Rundum-Pakete“ zu den Event-Musicals in Hamburg, Stuttgart oder Berlin. Aber auf die Idee, einmal eine Reise zu einem unserer städtischen Musical-Tempel anzubieten, ist noch kein Unternehmen gekommen. Eigentlich schade, denn zurzeit ist z. B. eine Reise nach Kassel für den Musical-Fan ein absolutes Muss. Dort wagt sich nach Hildesheim (1999) erst zum zweiten Mal ein deutsches Theater an die Aufführung eines der „unsterblichen Werke“ des amerikanischen Musik-Theaters: Richard Rodgers und Oscar Hammersteins „South Pacific“. Das zweite Musical nach Gershwins „Of Thee I Sing“, das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und das nach seiner Uraufführung 1949 mit 1925 Vorstellungen en Suite bis dahin nur von „Oklahoma“ überboten worden war. Die 1958 folgende 70mm-Filmversion (die wunderbare 2-DVD-Edition wird gerade bei Saturn u.a. „verramscht“) brach wiederum Rekorde, lief in einem Londoner Kino ununterbrochen über vier Jahre lang. Wie im Kino fühlt man sich auch, wenn sich nach der fünfminütigen Ouvertüre – auch diese ein wunderbares, nostalgisches Musical-Erlebnis – im Staatstheater Kassel der Vorhang hebt. Das großartige Bühnenbild (siehe oben) von Mathias Fischer-Dieskau ist den Cinemascope-Tableaux der 50er Jahre nachempfunden. Und die Bilder-Wechsel auf der technisch hochgerüsteten Bühne, die Vergleiche mit dem Broadway oder dem Londoner Westend nicht zu scheuen braucht, unterbrechen nie die Handlung, funktionieren wie weiche Überblendungen im Film. Von dieser Eleganz ist auch die Inszenierung von Matthias Davids geprägt, der ohne Frage zu unseren innovativsten Musical-Regisseuren gehört, was er auch schon in Kassel mit zwei deutschsprachigen Erstaufführungen („The Life“ und „Chess“) bewiesen hatte. Im stimmungsvollen, mit Licht und Schatten spielenden Licht von Gerhard Jurkiewicz führt er seine präzis geleiteten und stimmlich wie schauspielerisch überzeugenden Darsteller durch zwei Liebesgeschichten, die ihren Reiz durch den politischen Hintergrund bekommen: Auf einer Südseeinsel treffen während des 2. Weltkriegs die US-Krankenschwester Nellie auf den verwitweten französischen Farmer Emile und der Navy-Offizier Cable auf die Eingeborene Liat. Unterschwellig vorhandene Rassenvorurteile verhindern zunächst die aufkeimende Liebe, bis sie dramatisch, bzw. im Glück endet. „Du musst es erfahren, den Hass und die Angst“, wie Cable verzweifelt singt und damals wohl den Nerv der Zeit traf. Der Song, den, Davids wie alle dankenswerterweise im Original (mit deutsch eingeblendetem Text) singen lässt, kam nach anfänglicher Streichung erst wieder durch das Insistieren der Autoren in das Stück. Der Rest der Lieder ist Musicalgeschichte: Sei es das opernhafte „Some enchanted evening“, das burleske „There is nothing like a dame“, das volksliedhafte „Bali Hai“ oder das romantische „Younger than springtime“,eines der schönsten Liebeslieder der Musicalgeschichte. Das singt dann Matthias Stockinger (Cable) genauso anrührend, wie Kristin Hölck (Nellie) quirlig ihr „I‘m gonna wash that man right outa my hair“ auf die Bretter legt. Und bei Andre Bauers (Emile) „This nearly was mine“ schmilzt man genauso dahin, wie man dem Musical und dem gesamten Kasseler Kreativ-Team zu Füßen liegt.
Staatstheater Kassel I 7./16.4./7./14./28./29.5./4./23./26.6./2.7., 19.30 Uhr 0561 109 42 22 I www.staatstheater-kassel.de
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