Zur Selbstwahrnehmung des Theaters gehört die Behauptung, dass in den letzten zehn Jahren dem Politischen wieder größerer Stellenwert eingeräumt wird. Die These wird dabei gerne als Generationensprung aufgezäumt: Nachdem die postmoderne Spaßfraktion sich in den 90ern ausgetobt hatte, war es Zeit für eine neue Dosis Ernst. Jedes Klischee hat einen wahren Kern. Das Politische auf den Bühnen lässt sich an den Themen vieler Stücke, an der Präsenz von sogenannten Experten oder an dokumentarischen Formen ablesen. Doch wenn in der Diskussion „Act now – Aktuelles politische Theater“ am Schauspiel Köln immer wieder die Behauptung aufgestellt wurde, dass das Theater doch per se politisch sei, stellt sich die Frage, ob der ganze Hype nicht ein Marketinggag des Theaters ist.
Die von dem Literaturwissenschaftler Michael Eggers geleitete Diskussion offenbarte einmal mehr, wie vielgestaltig der Begriff des Politischen auf dem Theater geworden ist. Der Theaterwissenschaftler Benjamin Wistutz verortete das Politische auch in der Differenz des Theaters zum Alltag oder in einem Theater, das den Begriff des Könnens und damit das ästhetische Urteil in Frage stellt. Jens Groß, Chefdramaturg des Kölner Schauspiels überantwortete die Entscheidung, ob etwas politisch relevant sei, gar allein dem Zuschauer. Die Unsicherheit darüber, was heute auf dem Theater als politisch zu gelten hat, war mit Händen zu greifen. Selbst die so einfache wie einfältige Frage, ob denn der Verzicht auf Fiktionalisierung noch als Kriterium tauglich sei, wurde von Theatermacher Milo Rau, der mit historischen Reenactment-Inszenierungen bekannt wurde, unterlaufen. Er verwies auf die fiktionalen Momente in seinem Stück „Hate Radio“ über den Genozid in Ruanda. Für Rau liegt das Politische darin, Verantwortung zu übernehmen und Haltung zu beziehen. „Politisches Theater ist aktivistisches Theater“, betonte er und redete einem Theater der Dringlichkeit das Wort. Man müsse Dinge auch realisieren, „dekonstruieren können wir später“.
Ein Dilemma des Politischen im Theater ist sein homogenes Publikum: „Im linksliberalen Feld sind sich sofort alle einig, wie man moralisch auf die Dinge schaut“, pointierte Jens Groß. Das Kölner Schauspiel versuche, das zu hinterfragen, auch durch die Wahl des Standorts im rechtsrheinischen Mülheim mit seinem spezifischen sozialen Umfeld. „Die Inszenierung findet schon auf dem Weg ins Theater statt“, sagte Groß. Benjamin Wistutz und die Kritikerin Eva Behrendt verwiesen zudem auf die kulturpolitisch gewollte Wahrnehmung des Theaters als politischer Anstalt. Vor allem in der freien Szene habe sich inzwischen eine „Antragskultur“ entwickelt, so Wistutz, die das Politische geradezu einfordert. Vielleicht ist dem wirklich nur mit Milo Raus Forderung nach einem Theater der Provokation beizukommen, das durch die Störung des gewohnten Diskurses die Selbstverortung des Bürgertums radikal unterläuft. Als Beispiel nannte er den Versuch, die Erklärung des rechtsradikalen Terroristen Anders Breivik im flämischen Parlament zu inszenieren – was natürlich sofort verboten wurde.
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