Der Ausnahmezustand hat schon vor zwei Monaten eingesetzt, und er dauert zunächst noch bis Juni – wie jedes Jahr. Es ist Festivalzeit in NRW, und da in diesem Jahr mit der Biennale in Siegen und K 15 in Bochum gleich zwei neue Events auf der Agenda stehen, stellt sich die Frage, wie viele Festivals das Land eigentlich noch verträgt.
Natürlich freuen wir uns auf das Gastspiel von Peter Sellars’ „Othello“-Inszenierung (26.-28.6.) mit Hollywoodstar Philip Seymour Hoffman als Jago bei K 15 in Bochum; oder das Nederlands Dans Theater 3/ Paradox (21.6.) mit Tänzern im Alter von 40+; oder eine Nachtwanderung mit dem Intendanten Elmar Goerden; oder ein flämisches Jugendtheaterprojekt. Die Auswahl von K 15 sei keine „Garage mit lauter teuren Autos“, sagt Goerden im Telefoninterview, sondern folge der eigenen Passion und berücksichtige Gruppen, die „unseren Fragestellungen nahe sind“. Der Grund für den Zeitpunkt am Ende seiner Intendanz hat zum einen finanzielle Gründe: Man habe sich die Mittel erst zusammensparen müssen. Zum anderen sei das Festival ein (Abschieds)Geschenk an „unser Publikum“; wobei Goerden allerdings aber nichts gegen eine Neuauflage im kommenden Jahr hätte.
Das Programm ist spannend, keine Frage. Doch die Beschränkung auf die lokale Ausstrahlung wirkt allzu bescheiden. Festivals sind, wie die Journalistin Eva Behrendt einmal schrieb, „Aufmerksamkeitsgeneratoren“, und die laufen im Frühsommer in NRW auf Hochtouren: „Westwärts“ in Bonn, die Duisburger Akzente, die Mülheimer Theatertage, die Ruhrfestspiele, die Neugründungen Siegener Biennale und K 15 – von den Freiluftfestivals gar nicht zu reden. Vor allem in der freien Szene gelten Festivals als beliebtes Mittel, Aufmerksamkeit zu bündeln und den Stadttheatern etwas vom Publikumskuchen abzuzwacken. Es vergeht kaum ein Monat ohne irgendwelche Kompilierungen von Stücken, Autoren, Regietalenten unter irgendeinem Motto. Doch die Stadttheater holen auf. „Autorentage“ oder Tage der finnischen Dramatik sind inzwischen Legion. Und dann gibt es da noch Miniatur-Theatertreffen wie die Siegener Biennale, die sich ganz ohne Jury einfach das Deutsche Theater Berlin, die Münchener Kammerspiele und das Kölner Schauspiel einlud. Wo die Stadt, die bereits mit ihrem Museum für Gegenwartskunst und dem Rubens-Preis punktet, damit hin will, formulierte Walter Schwerdfeger vom Trägerverein des Siegener Apollo Theaters klar: „Mit der 1. Siegener Biennale sind wir überregional angekommen“. Theater als Aufmerksamkeitsgenerator im Städte-Wettbewerb. Gleichzeitig verhelfen Koproduktionen zwischen Theater und Festivals letzteren zu Uraufführungen, helfen, Kosten zu senken oder spülen als Gastspiel den produzierenden Theatern Geld in die Kassen. So hat jeder etwas davon. Und wenn wir dann irgendwann den Festival-Overkill erleben, hilft nur eines: Vor langer Zeit warb einmal ein ironischer Anonymus per Plakat für die „Solothurner Alltage vom 29. Januar 1972 bis zum 21. Januar 1973“ und meinte damit den gesamten Zeitraum außerhalb der Solothurner Filmtage. In Zeiten des Eventmarketings erscheint das aber nur noch als frommer Wunsch.
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