„Schauspieler!“ ruft Bolat Atabajew und stolziert mit eitlem Gehabe im Probenraum herum. Der kasachische Regisseur erzählt von seinen Erfahrungen kurz nach der Wende, als er mit Darstellern aus Ost- und Westdeutschland zusammengearbeitet hat. Unschwer zu erkennen, wofür die selbstverliebte Karikatur steht. Mit solchen Anekdoten würzt der Sechzigjährige seinen Vortrag über episches und dramatisches Theater, den er an der Kölner Theaterakademie hält, und man merkt, wie er die Aufmerksamkeit der jungen Studenten genießt.
Seit Dezember lebt Atabajew in der Domstadt. Im Exil, muss man wohl sagen, auch wenn er diesen Begriff nicht gerne hört. Er sei in Deutschland zu Hause, betont der Mitbegründer und frühere Künstlerische Leiter des Deutschen Theaters in Almaty und heutige Leiter der Freien Gruppe Aksarai. Bolat Atabajew gilt derzeit in seinem Land als Persona non Grata, und an Rückkehr ist nicht zu denken. Im Mai 2011 traten Ölarbeiter in Schangaösen in den Ausstand. Sieben Monate dauerte der zunächst friedliche Streik, bis die Sicherheitskräfte des seit 1989 regierenden Diktators Nursultan Nasarbajew den Protest gewaltsam niederschlugen. Atabajew hatte früh für die Streikenden Partei ergriffen und war ein halbes Jahr nach dem Ausstand wegen „Anstiftung zur sozialen Unruhe“ verhaftet worden. Als der internationale Protest immer stärker wurde, ließen die kasachischen Behörden den Regisseur nach zwei Wochen wieder frei, und er reiste nach Deutschland aus.
Bolat Atabajew im blauen Jackett und mit leger um den Hals gewickeltem Schal tigert in dem schlecht beheizten Raum der Theaterschule herum und erläutert in fast perfektem Deutsch die Unterschiede zwischen den Theorien Brechts und Stanislawskis. Es geht um mehr als nur ästhetische Fragen. Mit großer Selbstverständlichkeit verortet sich Atabajew in einer aufklärerischen Tradition des deutschen Theaters von Schiller bis Brecht. Eine geistige Heimat, aus der sich auch sein Engagement für eine Zivilgesellschaft speist. „Theater macht das Immunsystem der Gesellschaft stark“, sagt er mit Nachdruck. Was er damit meint, lässt sich an seiner letzten Inszenierung in Kasachstan ablesen. Atabayev zeigt sie auf einer kleinen Tournee seiner Theatergruppe durch Deutschland: Die Parabel „Die Lawine“ um ein kleines Dorf, in dem neun Monate nur geflüstert und drei Monate gefeiert werden darf, arbeitet mit sparsamsten Mitteln die Absurdität der Unterdrückung heraus, ohne je in aufklärerisches Pathos zu verfallen. Die Aufführung passierte anstandslos die Zensur. Atabajew weiß, dass er vom Regime auch als kritisches Aushängeschild benutzt wurde.
Ursprünglich wollte Atabajew mit seiner Gruppe ein Stück über den Streik in Schangaösen produzieren. Doch die Gefahr für die jungen Schauspieler, bei der Rückkehr verhaftet zu werden, ist einfach zu groß. So wird er sein Stück nun mit Studenten der Theaterakademie erarbeiten, dazu sein Stück „Lady Milford von Almaty“ über die Emigration einer Schauspielerin nach Deutschland. Vor allem aber will er an der Kölner Theaterakademie unterrichten. „Ich finde schon meine Nische in Deutschland“, sagt er zum Abschied. Man wünscht es ihm.
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