Drei starke Beiträgen gehen dieses Jahr in das Rennen, um den Goldenen Bären – nachdem Christian Petzold mit „Barbara“ sich an die Spitze der Kritikerlisten gesetzt hat, präsentieren nun zwei weitere hervorragende deutsche Regisseure ihre neuen Arbeiten im Wettbewerb.
Bodenständig und kammerspielartig gelingt es Hans-Christian Schmid mit seinem Film „Was bleibt“ eine komplette Familienstruktur zu dekonstruieren. Darin müssen sich zwei erwachsenen Söhne aus gutbürgerlichem Hause, die am Wochenende ihre Eltern besuchen, mit den verdrängten und totgeschwiegenen familiären Konflikten auseinandersetzen. Corinna Harfouch verkörpert eine manisch-depressive Mutter, die sich plötzlich dazu entschließt ihre Medikamente abzusetzen und damit eine Kette von emotionalen Ereignissen auslöst. Doch Schmid wollte seinen Film nicht bloß als kammerspielartiges Drama verstanden wissen. „Es geht um das Portrait einer ganzen Generation, die gegen nichts mehr rebellieren kann. Man nennt die Eltern beim Vornamen, anstatt Mama und Papa. Sie sind eher sowas wie gute Freunde“. In der Tat gelingt ihm damit eine interessante Darstellung der Generation der 68er-Kinder. Stellenweise sei die Geschichte allerdings belanglos, wurde Kritik laut. Es fehle echte Dramatik und Konfliktpotential. Doch genau das, so Schmid, sei das Problem eben jener dargestellten jungen Erwachsenen, um die dreißig. Als „Schwelbrand“ beschrieb er die dargestellten familiären Strukturen.
Sakral aufgeladen widmet sich dagegen Matthias Glasner („Der freie Wille“) in seiner neuen Arbeit „Gnade“ den existenziellen Themen: Es geht um nichts Geringeres als Liebe, Tod und die Möglichkeit von Vergebung. Die erneute Zusammenarbeit mit Jürgen Vogel überzeugte vor allem visuell durch großartige Aufnahmen einer der nördlichsten Enklaven Norwegens, in welche die dargestellte Familie auswandert. Nach einem Unfall mit Fahrerflucht, den die Mutter in einer Schocksituation begeht, steht die Frage im Raum, wie umgegangen werden soll mit der Schuld, denn schuldig haben sich alle Protagonisten in irgendeiner Form gemacht. So verdichtet Glasner seine Erzählstränge, die in Verbindung mit der monumentalen Eislandschaft und Wikingergesängen eines Kirchenchores tatsächlich eine erstaunlich spirituelle Dimension erreichen. Ähnlich außerweltlich zeigte sich auch Glasner auf der Pressekonferenz. Auf die Frage hin, warum er ein iPhone so permanent prominent im Film plaziert hätte, antwortete dieser ohne jegliche Ironie: „Mich hat das immer an den schwarzen Monolith aus „2001-Odyssee im Weltraum“ erinnert. Für mich ist das iPhone die Verbindung zum Außerirdischen“. Danach traute sich niemand mehr zu fragen, wie er das gemeint hatte. Jedenfalls machte Glasner klar, dass er zum einen eigene familiäre Probleme und Erfahrungen in dem Film aufarbeite und zum anderen eine hoffnungsvolle Botschaft formulieren wollte. Dabei ist es ihm nicht wichtig, ob der Schluss einer Geschichte realistisch sei, oder nicht. „Ich möchte an eine Utopie glauben können und daran, dass Vergebung möglich ist“.
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