Der Raum ist der Clou. Seit 1991 steht auf dem Gelände der Pferde-Rennbahn in Neuss das Globetheater, ein Nachbau von Shakespeares berühmter Londoner Spielstätte. Alljährlich findet dort das Neusser Shakespeare Festival statt, und wer je eine Vorstellung in dem zwölfeckigen Bau gesehen hat, ahnt etwas von der Direk-theit des elisabethanischen Theaters. Natürlich geht es im Globe nicht um die Hers-tellung von „Authentizität“; eher um die Erfahrungen einer im Stadttheater selten gewordenen Unmittelbarkeit zwischen Darstellern und Zuschauern, die die weit ins Parkett gezogene Bühne ermöglicht.
Für Festivalchef Rainer Wiertz ist das Globe Freude und Herausforderung zugleich, denn neben der Qualität und dem Shakespeare-Fokus der Produktionen ist conditio sine qua non, dass sie überhaupt ins Globe passen. Staats- und Stadttheater schei-den da meist aus. „Man findet geeignete Produktionen eher bei den alternativen Theatern“, sagt Rainer Wiertz. Elf Truppen aus sechs Ländern hat er in diesem Jahr eingeladen. Zu den Stammgästen gehört die Bremer Shakespeare Company, die aus der Volkstheaterbewegung der 80er hervorging, sich aber längst aus dem dog-matischen Korsett freigestrampelt hat. Neben „Ende gut, alles gut“ zeigt die Truppe „Der Kaufmann von Venedig“ in der radikal zum Wirtschaftskrimi aktualisierten Deutung der Schweizer Regisseurin Nora Somaini. Wer ein Festival mit internationalem Anspruch bestücken will, muss viel reisen. Zum alljährlichen Pflichtprogramm gehört für Rainer Wiertz der Besuch des Fringe Festivals in Edinburgh und des Offtheater-Bereichs beim Festival in Avignon. Dort hat er zwei französische Produktionen entdeckt, die er zu seinen persönlichen Favoriten zählt. Da ist einmal Alexis Michaliks musikalisch aufgezäumte Insze-nierung von „Der Widerspenstigen Zähmung“. Und „En attendant le Songe“, eine sehr komische „Sommernachtstraum“-Adaption von Irina Brook, der Tochter von Peter Brook. Die Internationalität und Universalität Shakespeares unterstreicht schließlich auch die Produktion der Ryutopia Noh-Theatre Shakespeare Company aus dem japanischen Niigata, die beweist, dass sich das „Wintermärchen“ problem-los auch in die Sprache des Noh-Theaters übersetzten lässt.
Als weitere Aufgabe des Festivals nennt Rainer Wiertz, „das Werk Shakespeares irgendwann einmal komplett vorgestellt zu haben“. Doch es sind oft die immergleichen populären 15 Stücke, die dem Festivalchef bei seiner Suche begegnen. Umso glücklicher ist er, in diesem Jahr ein weiteres Werk aus der Raritätenliste streichen zu können: Erstmals wird Shakespeares „Julius Cäsar“ in der Inszenierung der New Yorker Aquila Theatre Company in Neuss zu sehen sein. Doch auch damit ist das Gesamtoeuvre noch nicht ausgeschritten. So war bis heute noch nie eine Interpretation von „Heinrich VIII.“ in Neuss zu sehen. Die Entdeckungslust bleibt also auch in Zukunft eine der großen Qualitäten des Shakespeare Festivals.
18. Shakespeare Festival im Globe Neuss, 24. Juli bis 23. August, An der Rennbahn, Infos: www.shakespearefestival.de, Karten: 0180-500 18 12
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