So viele waren es schon lange nicht mehr. 154 Dramen musste die Jury des Mülheimer Stücke-Festivals in diesem Jahr sichten. Schafften es in den letzten Jahrgängen selten mehr als 125-140 Autoren in die Auswahl, so dürfte diesmal vor allem die Krise viele angespornt haben. „Trendmäßig kann man von einer Repolitisierung der Dramatik sprechen, es gibt kaum noch private Familienstücke“, sagt der Sprecher der Auswahljury Wolfgang Kralicek.
So viele waren es schon lange nicht mehr. 154 Dramen musste die Jury des Mülheimer Stücke-Festivals in diesem Jahr sichten. Schafften es in den letzten Jahrgängen selten mehr als 125-140 Autoren in die Auswahl, so dürfte diesmal vor allem die Krise viele angespornt haben. „Trendmäßig kann man von einer Repolitisierung der Dramatik sprechen, es gibt kaum noch private Familienstücke“, sagt der Sprecher der Auswahljury Wolfgang Kralicek.
Prima inter pares ist dabei Elfriede Jelinek. Nicht nur, weil sie bereits zum 14. Mal mit von der Partie ist; ihr Krisenstück „Die Kontrakte des Kaufmanns“ entpuppte sich als Renner der Saison, der es auf sechs Inszenierungen brachte. Dass die Grande Dame der Textfläche noch vor dem ökonomischen Crash zu Schreibwerke ging, spricht für die Spürnase der Dramatikerin.
Alljährlich sichtet das Stücke-Festival die Dramen-Produktion eines Jahres und lädt die besten nach Mülheim ein, wo sie um den mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikerpreis wetteifern. Es sei ein „ziemlich guter Jahrgang“ gewesen, sagt Wolfgang Kralicek über die diesjährige Auslese. Und es überrascht nicht, dass arrivierte Autoren wie Roland Schimmelpfennig oder Dea Loher mit ihrer für die Krisenbeschreibungen besonders geeigneten dramaturgischen Shortcut-Manier mit dabei sind.
Schimmelpfennigs „Der goldene Drache“ zieht einem Haus quasi die Fassade ab und entfaltet ein Beziehungsgeflecht an Klein- und Kleinstszene um einen asiatischen Imbiss, das von der ungewollten Schwangerschaft bis zur tödlichen Zahnbehandlung alles miteinander verbindet. Und Dea Lohers Stück „Diebe“ zeigt Gestrandete des Lebens, die im Rad der Fortuna nur noch mitgeschleift werden und das Interesse am eigenen Dasein vollends verloren haben. Zusammen mit Kathrin Rögglas „Die Beteiligten“ kommt so ein kräftiges Paket arrivierter Autoren zusammen.
Die Konkurrenz sei sehr hart gewesen für die jungen Dramatiker, sagt denn auch Wolfgang Kralicek. Unter den zwölf Stücken der engeren Auswahl stammten gerade einmal drei von Newcomern, die es dann aber auch alle in die endgültige Siebenerrunde schafften. Neben Ewald Palmetshofer („faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“) bilden Dirk Laucke und Nis-Momme Stockmann ein fast konzeptuelles Zweigestirn, dessen Auswahl Kralicek besonders freut. Lauckes „Es reicht nicht für alle“ entstand im Auftrag des Festivals „After the Fall“ und erzählt von den Verlierern von 1989, die sich zwischen Zigaretten- und Menschenschmuggel, verquasten Zukunftsträumen und ranzigen Erinnerungen bewegen.
Die Negation dazu hat der medial gehypte Nis-Momme Stockmann verfasst. „Kein Schiff wird kommen“ stellt einen Autor ins Zentrum, der an einem Auftrag für ein „Wende“-Stück scheitert und sich plötzlich in ein Vater-Sohn-Drama um den Tod der 1989 verstorbenen Mutter verstrickt sieht. Spott über die Novitätengier der Verlage mischt sich mit familiärem Konflikt und entwickelt Relevanz über den privaten Rahmen hinaus. Nichtsdestotrotz war es die Novität, die Stockmann die Teilnahme in Mülheim ermöglicht.
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