In Moers haben Wandlungen seit jeher Programm. Nicht zufällig verbinden viele mit dem moers festival den kontroversen Ausdruck „Avantgarde“. Dabei bringt er zwar den Habitus mit sich, die eigenen stilistischen Errungenschaften wieder zu überholen, möchte man sich noch irgendeine Vorreiterrolle einbilden. Aber nach vierzigjährigem Vorangehen in die unentdeckten Spielräume improvisierter Musik generierte sich in Moers inzwischen selbst sowas wie ein „Best-of“ der Normenfetzer, das den jüngeren Musikern – die aktuell Stilsabotage betreiben – gegenübersteht. Diese Programmstruktur erklärt der künstlerische Leiter Rainer Michalke so: „Ich bin auch immer auf der Suche nach den Forschern in der Musik, die sich nicht mit dem zufrieden geben, was es bereits gibt, sondern immer wieder Grenzen überschreiten und Neues erfinden.[…] Zu Moers gehören aber inzwischen auch diejenigen, die das Festival bekannt gemacht haben und denen das Festival geholfen hat, selbst bekannt zu werden, wie z.B. in diesem Jahr Nils Petter Molvaer, Shannon Jackson oder die Golden Palominos.“
Besondere Grenzüberschreiter in diesem Jahr dürften die beiden Amerikaner Chris Dave (Drums) und Ingmar Thomas (Trompete) sein. Groovende, basslastige Beatrhythmen werden hier von improvisationsreichen Soli durchzogen. Zwei traditionsbewusste und dennoch neuartige Symbiosen von Jazz und Hip-Hop. Freunden des grenzenlosen Crossover seien die Amerikaner Orthelm empfohlen. Eine hörintensive Gradwanderung zwischen kompromisslosem Free Jazz und Heavy-Metal für Gitarre und Schlagzeug. International kann man auch in diesem Jahr auftrumpfen. Mit Michiyo Yagi kehrt ebenfalls eine alte Bekannte nach Moers zurück. Die japanische Koto-Meisterin experimentiert eher mit leiseren Tönen, hat aber dafür gleich zwei Trios zusammengeführt.
Die Folgen der Finanzkrise sind aber auch nicht an Moers spurlos vorbeigegangen. Das innovative Festival musste seinen vierten Tag mit internationalem Konzertprogramm streichen. Ulrich Greb, Geschäftsführer des Veranstalters Moers Kultur GmbH, bringt es auf den Punkt: „Das Moers Festival muss vier Jahre sparen, so dass der vierte Festivaltag nicht mehr durchführbar ist. Die Festivalleitung musste eine Alternative schaffen“. Und diese Alternative hat es in sich.
Mit Helge Schneider kommt nicht nur der Nachbar aus Mülheim vorbei, sondern auch ein hochbegnadeter Musiker, der seine Jazznoten seit Jahren ins Programm mischt. In Moers soll er aber an seinem „Heimatabend“ auch moderieren und damit den besonderen Rahmen für den regionalen Nachwuchs schaffen. Statt dem Wegbrechen der Tradition hinterher zu trauern, macht das Festival also aus der Not eine Tugend. Dabei ist dieser Schritt kein „last exit“, sondern das Ergebnis einer kontinuierlichen Förderung junger Musiker, in diesem Jahr ausgeführt durch das nimm-Projekt (Netzwerk improvisierter Musik), das ein Jahr in der Stadt am Niederrhein residiert und Konzertauftritte mit jungen MusikerInnen plant. Und der Jugendwahn geht weiter. Ab 13 Uhr kann man bereits im „Open House“ KünsterInnen aus verschiedenen Gattungen erleben. Hier wird bereits wieder „im Geiste des Moerser Festivals“ geplant, so Ulrich Greb, und ein Potential für neue künstlerische Verästelungen geschaffen. Ganz im Sinne eines kontinuierlichen Wandels also.
moers festival I 10.6.-13.6. I 0180 50 40 300 I www.moers-festival.de
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