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Viele junge Leute können mit der Liturgie nichts mehr anfangen, nach wie vor besteht aber ein Bedürfnis nach Spiritualität
Foto: Olaf Hirschberg

„Die Leute wollen von allem etwas“

26. Juli 2012

Pfarrvikar Klaus Werner Bußmann über Experimentalisten und Moderne Performer am Brüsseler Platz - Thema 08/12 Kirche im Wandel

choices: Herr Bußmann, an Kölns drittgrößter Innenstadtkirche, St. Michael am Brüsseler Platz, ist seit einiger Zeit ein interessantes Phänomen zu beobachten: Sie ist oft bis spät in den Abend geöffnet. Wie kommt das?
Klaus Werner Bußmann:
Wir standen vor der Frage: Wie können wir die Kirche, die nur noch für Gottesdienste geöffnet wurde, an das Viertel zurückgeben? Schließlich ist der viel frequentierte Brüsseler Platz eigentlich unser Kirchvorplatz. Diesen Gegensatz – pulsierendes Leben vor verschlossener Kirche – wollten wir auflösen.

Vor dem Hintergrund schrumpfender Innenstadtgemeinden ein ambitioniertes Vorhaben. Wie sind Sie vorgegangen?
Im ersten Schritt ging es uns darum, die Kirche in einem ganz wörtlichen Sinne wieder zu öffnen. Dafür braucht man Personal, und wir haben intensiv nach Unterstützern in der Gemeinde gesucht. Dank vieler Ehrenamtlicher sind wir heute in der Lage, die Türen von St. Michael täglich zu öffnen und die Kirche als spirituellen Ort auch außerhalb der Gottesdienste erlebbar zu machen.

Aufgesperrte Türen allein machen eine Kirche noch nicht wieder lebendig. Hilft da ein Kunst- und Kulturprogramm wie „Art & Amen“?

Klaus Werner Bußmann
Foto: privat
Klaus Werner Bußmann war 34 Jahre Pfarrer in der kath. Gemeinde St. Adelheid in Neubrück und ab 1995 verantwortlich für den ersten Kölner Pfarrverband aus insgesamt fünf rechtsrheinischen Gemeinden. Seit September 2010 bekleidet er die Stelle des Pfarrvikars in St. Gereon und hob gemeinsam mit Dechant Andreas Brocke als einer der leitenden Akteure das Programm „Art & Amen“ in St. Michael aus der Taufe.

Wie in anderen katholischen Kölner Gemeinden hat man hier die vorherrschenden Gruppen analysiert. Dabei kam raus, dass wir es im Belgischen Viertel vor allem mit zwei modernen Milieus zu tun haben: mit „Experimentalisten“ und „Modernen Performern“ – neugierige und gut situierte Trendsetter, die vieles ausprobieren, aber auch erfolgreich gestalten. Die wollen von allem etwas! Wie kann man da als Kirche anknüpfen? So entstand die Idee, eine Plattform für Kunst in diesem Stadtteil zu schaffen, die sich am Bedürfnis der Menschen orientiert, also auch abends präsent ist, wenn die Leute da sind und Zeit haben.

Wer trägt das Programm organisatorisch und finanziell?

Wir haben mit Anwohnern, Gastronomen, Geschäftsleuten und vor allem Künstlern des Viertels Formate entwickelt, die für die Menschen hier interessant sein können – Konzerte, Filmabende, Videoperformances, Lesungen usw. Dieses Jahr trägt sich das Ganze weitgehend selbst. Aber Werbung etc. läuft über die Gemeindekasse.

Einer großen Kirche wie St. Michael muss es doch auch darum gehen, das Gemeindeleben aktiv zu gestalten, um nicht existenziell in Frage zu stehen?
Es geht darum, dass innerstädtische Kirchen für ihre Gemeinde weiterhin eine Rolle spielen, aber nicht vor dem Hintergrund, dass katholische Kirchen ansonsten geschlossen würden.

Kann man Menschen damit wirklich in die Kirche zurückholen?

Man kann ein anderes Bild von Kirche vermitteln, was heute wichtig ist. Dabei geht es erst mal nicht um die Liturgie. Wir wissen: Ein Bedürfnis nach Spiritualität ist nach wie vor da, aber gerade die Jungen können – verständlicherweise – mit der Liturgie oft nichts mehr anfangen. Wir hören von den Leuten, dass es toll ist, dass die Kirche so ein Programm bietet, dass sie jetzt auch abends mal offen ist und man einfach reingehen und zur Ruhe kommen kann.

Sie waren lange Seelsorger in der rechtsrheinischen Gemeinde St. Adelheid. Dort standen Sie in der Regel vor gut gefüllten Kirchenbänken und hatten es mit einer regen Gemeinde zu tun. Vermissen Sie das gelegentlich?

Nein, aber natürlich ist das hier eine andere Art von Gemeindearbeit. Klassischerweise ist die ja auf die Nachhaltigkeit von Begegnungen und ein wachsendes Miteinander angelegt. Das ist hier anders. Ich führe viele interessante Gespräche bei unseren Veranstaltungen und auch intensive seelsorgerische Gespräche. Die meisten Menschen sehe ich aber danach nicht wieder. Dieses Passantentum, der Durchlauf, die mangelnde Kontinuität ist etwas, an das man sich auch gewöhnen muss.

Wird es irgendwann auch in den Innenstädten wieder ganz klassische Gemeindearbeit geben?
Das glaube ich eigentlich nicht. Es ist wichtig, sich den neuen Bedürfnissen von Menschen als Kirche zu öffnen. Ich denke, wir werden in Zukunft noch projektbezogener arbeiten und uns als Kirchengemeinden stärker profilieren müssen. Das ist ja auch das Ziel der Pastoralkonzepte, zu deren Entwicklung alle katholischen Seelsorgebereiche des Erzbistums aufgefordert sind.

Heißt das nicht auch, eine Art von Konsumdenken zu bedienen?

Nicht, solange sich die Arbeit im Rahmen dessen bewegt, was einer Kirche als spirituellem und sakralen Ort entspricht. Wir sind deshalb bei „Art & Amen“ durchaus wählerisch. Wir experimentieren, aber wir wollen schon, dass die Kirche Kirche bleibt. Dazu muss die Kunst passen – da unterscheiden wir uns vielleicht auch von der Position der evangelischen Kirche.

Haben Sie Restriktionen „von oben“ zu befürchten, wenn Sie bestimmte Grenzen vermeintlich überschreiten?

Bisher ist da nichts gekommen. Ich würde dann allerdings auch die Sinus-Studie zücken. Damit haben wir uns in sehr arbeitsintensiven Prozessen nun jahrelang auseinandergesetzt. Da muss man jetzt auch Experimente zulassen.

Für das Erzbistum Köln gilt die Maxime, dass katholische Kirchen als „Tafelsilber“ unbedingt zu erhalten sind und nur für ausgewählte kirchennahe Nutzungen zur Verfügung stehen dürfen. Könnte eine katholische Kirche auch als Gebetsstätte für Muslime dienen?

Für mich persönlich wäre das denkbar, weil es ja eine religiöse Nutzung bliebe. Soweit ich das sehe, besteht hier aber von Seiten der Muslime gar kein großes Interesse an christlich geprägten Gebäuden. Und natürlich gibt man durch eine solche Fremdnutzung auch etwas Kulturstiftendes auf in seiner Stadt. Das muss man sich schon genau überlegen.

Interview: Prasanna Oommen/Jessica Hoppe

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