Die neuesten Meldungen aus dem Kölner Erzbistum sollen Optimismus verbreiten: Die Zahl der Kirchenaustritte ist nach offiziellen Angaben 2011 deutlich zurückgegangen. Diese Erfolgsmeldung relativiert sich jedoch schon auf den zweiten Blick: 11.940 Menschen haben im genannten Zeitraum die katholische Kirche verlassen. Damit befindet sich Köln weiter im allgemeinen Trend. Nachwuchsmangel, sinkende Kirchgängerzahlen, Zusammenlegung von Pfarreien und knapper werdende finanzielle Mittel sind gleichermaßen Auslöser und Ergebnis des pastoralen Umbruchs in den katholischen, aber auch evangelischen Gemeinden Deutschlands. Dafür sichtbarstes Indiz: Viele der meist denkmalgeschützten repräsentativen Kirchengebäude stehen außerhalb der Gottesdienstzeiten leer, sind von einst gut frequentierten Gemeindekirchen zu reinen Angebotskirchen geworden. Mit einem Angebot, das immer weniger genutzt wird.
Gerade in der Innenstadt stellt sich die Frage, wie ein inhaltlich und wirtschaftlich sinnvoller Umgang mit kirchlichen Immobilien in Zukunft aussehen kann. Dem Erzbischof gelten seine leeren Gotteshäuser als „Tafelsilber“. Deshalb will er sie unter besonderen Schutz stellen. Dabei plagen ihn die gleichen Probleme wie seine evangelischen KollegInnen. Auch diese wollen, trotz schrumpfender Gemeinden, drastische Maßnahmen wie den Verkauf innerstädtischer Kirchen zukünftig um jeden Preis vermeiden. Man baut jetzt lieber kleiner und bleibt dafür vor Ort, denn selbst kirchenferne Menschen empfinden die Sakralbauten in ihrem Wohn- und Lebensumfeld als sinn-, kultur- oder doch zumindest als orientierungsstiftend. Also wird die evangelische Christuskirche am Stadtgarten mit ihrem denkmalgeschützten Turm verkleinert erhalten und in eine „moderne Predigtstätte des 21. Jahrhunderts“ umgebaut.
Quo vadis?
Die beiden großen Kirchen der Wohlstandsgesellschaft stehen vor der Beantwortung der Frage, wie sie als gemeinschaftsstiftende und spirituell-seelsorgerische Institution den Weg zu den Menschen zurückfinden können.
Schon vor einigen Jahren haben die deutschen Bischöfe in einer Sinus-Milieu-Studie untersuchen lassen, warum immer weniger Menschen auf die Botschaft der katholischen Kirche ansprechen. Das Ergebnis: Gerade mal drei der zehn in Deutschland georteten Lebensstil-Milieus werden erreicht, die Konservativen, die Traditionsverwurzelten und die bürgerliche Mitte. Vor allem die urbanen Milieus in den Innenstadtgemeinden scheinen trotz kurzer Wege in die Kirchen kaum erreichbar zu sein. Kirche und moderne Gesellschaft – zwei Parallelwelten auf dichtestem Raum. Auf der Grundlage dieser bitteren Erkenntnis wird seitdem das pastorale Konzept des Erzbistums überprüft. Alle Seelsorgebereiche sollen ihre Arbeit nun daran ausrichten, dass „die Kirche in den Lebensräumen und Lebenswelten der Menschen wieder wirksam präsent ist“. Doch wie kann man „Moderne Performer“ oder „Experimentalisten“, die sich zum Beispiel im Belgischen Viertel und damit in der katholischen Pfarrei St. Gereon konzentrieren, in ihrem Alltag erreichen?
Viele Kölner Gemeinden versuchen das seit Jahren über Kulturangebote – ein in doppelter Hinsicht naheliegender Ansatz, denn gerade Innenstädter sind tendenziell stark kunst- und kulturaffin. Bildende Kunst, Musik, Theater und Film sind zudem mit dem Credo des „Heiligen Raumes“ der katholischen Kirche ebenso vereinbar wie mit dem evangelischen Verständnis des Kirchraums als „Versammlungsstätte“. Die Nippeser Kulturkirche, die Trinitatiskirche oder die Kunststation St. Peter, die gerade ihr 30-jähriges Bestehen feiert, prägen seit Jahren das kulturelle Profil Kölns entscheidend mit. Dabei geht es weniger darum, Geld zu verdienen. An erster Stelle steht vielmehr, Menschen wieder in die Kirche zu holen – im ganz wörtlichen Sinne. Man will miteinander ins Gespräch kommen, im Kontakt sein, wieder in Erscheinung treten. Das Kunst- und Kulturprogramm „Art & Amen“ von St. Michael am Brüsseler Platz zum Beispiel führt nicht Missionierung im Schilde, betont Pfarrvikar Klaus Werner Bußmann. Vielmehr habe das seit Jahren bunte Leben auf ihrem Kirchvorplatz die Gemeinde 2010 schließlich zum Handeln veranlasst. Dass man die Menschen, die einen Film- oder Musikabend besuchen, nur selten am nächsten Sonntag im Gottesdienst wiedersieht, ist den Verantwortlichen bewusst. Doch weil man sich eine Ganz-oder-gar-nicht-Haltung nicht mehr erlauben kann, sieht man das kulturelle Engagement als langfristige Investition in die Gemeinde selbst. Der religionsübergreifende Erfolg, den die evangelische Gemeinde Köln mit der Antoniterkirche und ihrer vielseitigen CityKirchenarbeit auf der Schildergasse erzielt hat, weist hier den Weg.
Chancen in der Krise
Dazu gibt es auch andere Trends. Gut situierte Mittelschicht-Eltern lassen ihre Kinder wieder häufiger taufen, auch wenn sie selbst seit Jahren bestenfalls Kirchensteuer zahlende Karteileichen sind. Das geschieht zwar weniger aus einem tieferen religiösen Bedürfnis heraus als vielmehr aus dem Wunsch, sich die Gemeinschaft „Kirche“ zur Einbindung in die Gesellschaft außerhalb der Familie zu eröffnen. Hier aber kann „moderne“ Gemeindearbeit anknüpfen. Darüber hinaus besteht gerade in schnelllebigen Innenstädten ein Bedürfnis nach Inspiration und Spiritualität. Nur werden diese Wege zur inneren Einkehr und Selbstfindung zurzeit selten in der Institution Kirche gesucht. Wenn die Kirchen dies ändern wollen, braucht es Mut, sich tatsächlich hin zur Gesellschaft zu öffnen und sich zusammen mit ihr zu wandeln. Denn eine Kirche, die sich auf ihre Mitglieder einlässt, muss ihre Bedürfnisse ernst nehmen und die eigenen Anschauungen, wenn auch nicht bedingungslos unterordnen, so doch sukzessive erweitern.
Im Moment heißt es vor allem: präsent bleiben – mitunter vielleicht auch mit unorthodoxen Mitteln und Interimslösungen. Dass man als ausgewiesener Bewahrer einen sehr pragmatischen Blick auf die Frage der inhaltlichen und baulichen Nutzung von Gotteshäusern haben kann, zeigt die Position der ehemaligen Kölner Stadtkonservatorin Prof. Dr. Hiltrud Kier. Mit Verweis auf die bewegte Nutzungsgeschichte der Kölner Kirchen inklusive des Doms hält sie alle moralisch integeren Pläne zur Nutzung von Kirchenbauten für erwägenswert – sofern sie die Bauten erhalten und bei Bedarf auch kirchliche Nutzungen wieder zulassen. Damit die Modernen Performer, Experimentalisten und viele andere Platz finden können, wenn sie sich eines Tages auch über die Samstagabend-Veranstaltung hinaus wieder in den Kirchen versammeln möchten.
Infos unter: www.thomaschristuskirche-koeln.de und www.erzbistum-koeln.de
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