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Nina Kolleck
Foto: Thomas Roese

„Die Schulen versagen bei politischer Bildung“

30. Januar 2025

Teil 3: Interview – Politologin Nina Kolleck über die Vermittlung demokratischer Werte

choices: Frau Kolleck, früher war klar, wofür eine Partei steht. Diese Grenzen scheinen zu verschwimmen.

Nina Kolleck: Ja, auf jeden Fall. Früher waren die Parteien stark ideologisch geprägt, da war der Klassenkampf für die Linke, der Konservativismus für die CDU und die soziale Marktwirtschaft für die FDP. Die Globalisierung und andere gesellschaftliche Wandlungsprozesse haben zu einer Angleichung vieler Positionen geführt. Das führt dann zu einer thematischen Unschärfe, die natürlich auch bei den Wählern nicht gerade legitimierend ankommt. Parteien agieren oft themenorientiert statt ideologisch, um breitere Wählerschichten zu erreichen. Außerdem gibt es Koalitionszwänge und die Notwendigkeit, Kompromisse in Koalitionen zu schließen, die ebenso klare Positionen oft verschwimmen lässt, gerade auch für die Öffentlichkeit. Und auch die Medien spielen eine Rolle dabei, dass Parteiprofile oft durch kurze Botschaften und Skandale überlagert werden statt durch inhaltliche Debatten. Das hat dazu geführt, dass die lebhaften demokratischen Debatten, die wir früher hatten – gerade in der Nachkriegszeit – sehr stark abgeflaut sind. Man kann sagen, dass es so eine Art Postideologie ist, die durch einen pragmatischen Problembezug die Differenzierung erschwert.

„Eine thematische Unschärfe, die bei den Wählern nicht ankommt“

Hängt das auch mit den sozialen Medien zusammen, die uns eher kurz und prägnant informieren, statt Debatten zu fördern?

Ja und nein. Auf der einen Seiten führt der Internetkonsum dazu, dass die Aufmerksamkeitsspanne geringer wird, besonders bei jungen Menschen. Auf der anderen Seite sehen wir auch ein sehr starkes Interesse an politischen Sachverhalten. Neben Podcasts, die Falschinformationen verbreiten, gibt es auch welche, die auf einem dialogischen Format basieren und aufklären. Außerdem muss man sehen, dass durch die sozialen Netzwerke heute auch marginalisierte Gruppen die Möglichkeit haben, Gehör zu finden.

Um bei uns zu politischen Wahlen seine Stimme abzugeben, muss man volljährig und deutscher Staatsbürger sein. Glauben Sie, dass unsere Schulen darauf gut vorbereiten?

Auf keinen Fall, das sehen wir auch am Resultat: Es gibt eine extreme Steigerung von Verschwörungserzählungen, immer mehr Menschen glauben daran, gerade auch in der jungen Generation. Das heißt, dass hier die Schulen versagen, aber auch, dass wir diesen Themen viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die Fächer politische Bildung, historische Bildung, Medienbildung sind eben noch Randerscheinungen an Schulen, gehören nicht zu den Kernfächern. Durch eine mangelnde politische Bildung können Menschen überhaupt nicht erst politische Mündigkeit erlangen, denn diese basiert immer auf einem bestimmten Wissenskanon. Ich muss zum Beispiel wissen, was eine Demokratie ist und wie ich mich einbringen kann. Ich muss wissen, was im Holocaust passiert ist usw.

„Extrem besorgniserregend“ 

Müssen wir uns Sorgen machen, dass so eine Sehnsucht nach einer „starken Hand“ aufkommt, wie das in Deutschland leider schon geschehen ist?

Ja, auf jeden Fall. Das ist extrem besorgniserregend. Charismatische Führer bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme und sprechen Unsicherheiten in Krisenzeiten an. Wir befinden uns derzeit in einer Phase multipler Krisen: Inflation, die andauernden Folgen der Pandemie, Migration und eine Wirtschaftskrise, die viele Menschen belastet. Hinzu kommt die drängende Klimakrise, die weitere Unsicherheiten hervorruft. In einem solchen Umfeld bieten Populisten oder autoritäre Persönlichkeiten vermeintliche Sicherheit – eine Scheinsicherheit, die es Menschen erleichtert, sich hinter einfachen Antworten zu verstecken. Zudem sehen wir, dass Krisenzeiten oft mit einem sinkenden Vertrauen in demokratische Institutionen und die Demokratie selbst einhergehen. Diese Entwicklung korreliert stark mit einer zunehmenden Zustimmung zu autoritären Führern. Es ist eine gefährliche Dynamik, die uns wachsam machen sollte.

Welche Institutionen sind jetzt gefragt, wo müssen wir ansetzen?

Die Schule spielt eine Schlüsselrolle, da sie Menschen aller sozialen Schichten und Hintergründe erreicht. Hier müssen politische Bildung, Medienkompetenz und historische Bildung deutlich gestärkt werden. Schüler sollten lernen, wie Verschwörungserzählungen und Desinformation funktionieren, wie sie diese entlarven und warum es sich für sie lohnt, demokratische Werte zu schützen. Darüber hinaus ist der außerschulische Bildungssektor essentiell. Digitale Sozialarbeiter, die aktiv im Netz aufklären, und Bots, die gezielt gegen Falschinformationen eingesetzt werden, sind einige Ansätze unter vielen, die gestärkt werden müssen. Ebenso können Museen, Kirchen, Moscheen und andere lokale Einrichtungen eine zentrale Rolle übernehmen, indem sie vor Ort den Dialog fördern und demokratische Werte vermitteln. Alle Menschen müssen verstehen können, welche Vorteile die demokratische Grundordnung für jeden Einzelnen bietet. in einem Land zu leben, in dem die Würde des Menschen unantastbar ist, in dem marginalisierte Gruppen geschützt werden und die Meinungsfreiheit gewährleistet ist. Nur durch eine breite gesellschaftliche Aufklärung können wir dem Vertrauensverlust in demokratische Institutionen entgegenwirken und den Zusammenhalt stärken.

Interview: Daniela Prüter

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