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Achim Truger
Foto: Bettina Engel-Albustin / Fotoagentur Ruhr Moers

„Dominierende Haltung: Reform der Schuldenbremse ist nötig“

30. Januar 2025

Teil 1: Interview – Wirtschaftsweise Achim Truger über die Wirtschaftskrise und die Ideen der Parteien

choices: Herr Truger, woher kommt die gegenwärtige Wirtschaftsschwäche?

Achim Truger: Man muss das ein wenig sortieren, denn an vielen dieser Punkte ist natürlich etwas dran. Wir haben im Grunde genommen zwei Schwächen: Die erste Schwäche rührt von dem unheimlichen Corona-Absturz im Jahr 2020 her, der natürlich zweifellos von außen gekommen ist. Davon hatte sich die Wirtschaft noch nicht vollständig erholt, als mit dem Energiepreisschock gleich die nächste Krise folgte. Das heißt Corona, der Ukraine-Krieg und der Energiepreisschock erklären vieles. Was in ihrer Aufzählung noch fehlte, ist die unmittelbar kurzfristige Erklärung dafür, warum die deutsche Wirtschaft nicht richtig anspringt, nämlich zwei ungewöhnliche Entwicklungen: Wir hatten einen riesigen Inflationsschock nach der Energiepreis-Krise, in dessen Folge die Brutto-Reallöhne so stark abgestürzt sind, wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Seit aber etwa zwei Jahren haben sich die Realeinkommen wieder positiv entwickelt, im vergangenen Jahr sogar deutlich positiv. Dann würde man erwarten, dass der private Konsum, der zunächst abgestürzt war, sich wieder erholt – diese Erholung ist aber sehr zaghaft. Dass er sich nicht wie erwartet erholt, hängt wohl mit der großen Unsicherheit zusammen. Die Indikatoren, die Unsicherheit anzeigen, auch wirtschaftspolitische Unsicherheit, sind sehr hoch, und viele Menschen fürchten jetzt um ihre Arbeitsplätze.

Der zweite große Faktor ist der Export, der sich in einer weltwirtschaftlichen Erholung eigentlich ebenfalls entsprechend schnell erholen und damit die Industrie und in der Folge den Rest der Wirtschaft hochziehen sollte – dieser Mechanismus funktioniert gerade nicht gut. Die Exporte sind viel zu schwach für das weltwirtschaftliche Wachstum, das sich wieder erholt hat. Das hat vermutlich mit den weiterhin erhöhten Energiepreisen zu tun. Dann kommen Faktoren wie die hohe Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Energiepreise hinzu, die dazu führen, dass die Investitionen ausbleiben.

Ein weiterer Faktor ist, dass Deutschlands Geschäftsmodell mit dem großen Industriesektor und einem starken Export darauf beruhte, dass es die ganze Welt mit Investitionsgütern belieferte. Die Konjunktur für diese Investitionsgüter ist nun aber weltweit eher schwach. Hinzu kommt noch eine Entwicklung, die wir noch nicht umfassend beurteilen können, die aber wahrscheinlich relevant ist: China, wohin ja viele von Deutschlands Exporten gehen, hat selbst Schwierigkeiten und ist nun vor allem sehr stark binnenwirtschaftlich orientiert. Es beliefert sich daher selbst mit Gütern, die bislang aus Deutschland und Europa kamen. Das heißt, die haben da echt einen Sprung gemacht, und sind jetzt plötzlich auf Märkten konkurrenzfähig, auf denen sie es vorher nicht waren. Entgegen den Erwartungen hat es daher seit 2023 keinen Aufschwung gegeben. Stattdessen ist jetzt zu befürchten, dass 2025 das dritte Jahr in Folge mit negativen Wachstumsraten sein wird – nicht stark negativ, aber zumindest ein kleines Minus und drei Jahre mit einem kleinen Minus ist auch richtig schlecht. Das hat es in der Form noch nicht gegeben, wenn es dazu käme. Insgesamt würde das seit 2019 sechs Jahre ohne jedes Wachstum bedeuten. Das ist insgesamt ein großes Problem und der niedrige Sockel, auf dem wir da aufsetzen, sind natürlich die Corona- und die Energiepreis-Krise.

„Hätte man das einfach abgearbeitet, wäre das sicherlich besser gewesen, als dieser von der FDP provozierte Ausstieg“

Welchen Einfluss hatte die Politik der Ampel? 

Die Unsicherheit, die zurzeit ein sehr großes Problem ist, und auch Teile der noch nicht verarbeiteten Energiepreiskrise, die haben natürlich etwas mit der Ampel-Politik zu tun. Wenn sich eine Regierung über zwei Jahre ständig nur über den Haushalt streitet und eigentlich nicht klar ist, was an Maßnahmen ergriffen wird und wer belastet werden soll, wenn die Schuldenbremse eingehalten wird, wer dann zurückstecken soll – diese Unsicherheit, die immer wieder und wieder kam und sich am Schluss so zugespitzt hat, dass die Regierung daran zerbrochen ist, die hat sowohl die Unternehmen als auch die privaten Haushalte verunsichert und Schaden angerichtet. Auch gab es zweifelhafte Entscheidungen: Man hätte natürlich die Unterstützung für energieintensive Unternehmen stärker fortführen müssen, damit sie Investitionssicherheit haben. Man hätte auch die Kaufprämie für E-Autos verlängern können, die ja stattdessen im August 2023 mangels Geldes und mangels Einigung einfach abgebrochen wurde. Das hat die Autoindustrie natürlich nochmal besonders getroffen, die auf die Unterstützung vertraut hat, damit sie den Umstieg in die E-Mobilität hinbekommt. Ärgerlich ist, dass sich die Ampel sich ja eigentlich schon geeinigt hatte, auf eine Wachstumsinitiative in 49 Punkten. Da waren eine ganze Menge vernünftiger Dinge dabei – hätte man das einfach abgearbeitet und wäre dann regulär in die Bundestagswahl gegangen, wäre das für das Land sicherlich besser gewesen, als dieser letztlich von der FDP provozierte Ausstieg.

Andere Faktoren, wie die Mängel der öffentlichen Infrastruktur, reichen deutlich weiter zurück.

Das ist ein Problem, das sich zurzeit zuspitzt, aber die Vernachlässigung reicht in der Tat Jahrzehnte zurück, das ist nichts, was die aktuelle Regierung maßgeblich zu verantworten hätte. Man kann der Ampel die Unsicherheit und die mangelnde Unterstützung in der noch nicht überstandenen Krise zum Vorwurf machen, aber viele andere Dinge sind letztlich Altlasten, bei denen praktisch jede Partei, die in Deutschland schon mal an der Regierung war, mit im Boot sitzt, also auch die jetzige Opposition. Dieses sehr große Vertrauen auf den Export, auch auf China, ist natürlich eine Erblast, die schon immer ein Risiko war, und das hat sicherlich nicht die Ampel zu verantworten, das haben eben viele vorherige Regierungen mit unterstützt. Zuallererst aber hat das natürlich die Wirtschaft zu verantworten.

„Unternehmen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, sich nicht gut vorbereitet zu haben“

Hat der private Sektor Innovationen verschlafen?

Sagen wir so: Was man immer mehr sieht, was auch durch die Durchoptimierung vieler Prozesse bedingt ist, ist, dass die Unternehmen sehr, sehr kurzfristig orientiert sind. Wenn sich dann etwa in China diese großen Gewinnmöglichkeiten bieten, greifen sie eben zu. Man hätte natürlich auch versuchen können, sich breiter aufzustellen und vielleicht nicht so sehr ins Risiko zu gehen, so dass man jetzt den Entwicklungen weniger ausgeliefert wäre. Ein weiteres Risiko für die Unternehmen ist natürlich Trump – wenn er die Zölle erhöht, trifft das die Exportwirtschaft erneut. Dass wird schwierig und da müssen sich die Unternehmen schon den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich nicht gut vorbereitet haben. Man hat es auch gesehen bei den gestörten Lieferketten während und nach Corona: Man hat just-in-time produziert und als der Nachschub abriss, ging eben gar nichts mehr. Da müsste man sich im Grunde viel langfristiger und vorausschauender aufstellen. Ansonsten: Es ist nicht so, dass die deutsche Wirtschaft grundsätzlich innovationsschwach wäre, aber die Innovationen finden vor allem in bestimmten Bereichen statt, vor allen Dingen im Automobil-Bereich und im Maschinenbau. Was da geleistet wird, ist schon nicht schlecht, da ist auch die Forschung und die Umsetzung in die Praxis relativ gut verzahnt, die Innovationskultur ist nicht schlecht. Sie könnte vielleicht etwas breiter aufgestellt werden und auch digitaler sein. Auch hier, die Unternehmen haben das getan, was ihnen kurzfristig nutzte, wo sie gut aufgestellt waren und haben andere Bereiche vernachlässigt. Die Politik hätte natürlich auch einiges machen können – dass das deutsche Wachstum sehr exportlastig war und die Binnenwirtschaft lange Zeit stark vernachlässigt wurde, ist ja bereits ein altes Phänomen. Schon vor 20 Jahren hätte die Politik viel stärker in Richtung Infrastruktur- und einer breiteren Forschungsförderung gehen müssen und dadurch auch die Binnenwirtschaft stärker ankurbeln sollen. Dass man das nicht getan hat, fällt uns jetzt leider auf die Füße. Auch da ist man paradoxerweise wieder an der kurzen Frist orientiert: Die Schuldenbremse ist mal eingeführt worden, um zu verhindern, dass es die kurzfristig orientierte Politik mit den Schulden übertreibt, weil das zwar kurzfristig hilft, aber langfristig Probleme erzeugt. Dass die Politik vielleicht auch bei ihren Ausgaben eher geneigt ist, die kurzfristig wirksamen zu bevorzugen und sich um die langfristigen nicht zu kümmern, hat man offenbar nicht gesehen. Das war für uns beim Sachverständigenrat auch der Grund, in unserem letzten Gutachten ein Kapitel zu schreiben, in dem es darum geht, was man machen kann, um die zukunftsorientierten, langfristigen Ausgaben zu stärken. Wir plädieren dafür, einen Infrastrukturfond aufzulegen, um mit langfristig ganz klar zugewiesenen gesicherten Einnahmen des Bundes die Bahn und auch Bundesautobahnen und -straßen zu sanieren und auf eine langfristig tragfähige Grundlage zu stellen. Denn ein Investieren nach Kassenlage ist immer problematisch: Man hat sich an Schuldenbremse und schwarzer Null berauscht, aber im Rausch hat man die kritischen Stimmen ignoriert, zu denen ich mich zähle, die darauf aufmerksam gemacht haben, dass da wesentliche öffentliche Investitionen auf der Strecke bleiben. 

Steigende Lebenshaltungskosten setzen der Bevölkerung zu. Profitiert auch jemand von Inflation?

Was man sagen muss, die Netto-Realeinkommen sind zuletzt wieder gestiegen und sie haben auch das Vorkrisen-Niveau definitiv und spürbar wieder überschritten. Es ist also nicht so, dass die Leute im Durchschnitt real deutlich ärmer sind, das ist nicht der Fall. Aber wenn diese Krisen nicht gewesen wären, dann wäre die Einkommensentwicklung natürlich deutlich besser gewesen. Wer von der Inflation profitiert, das hängt natürlich immer davon ab, wie die Inflation auftritt. Da der Inflationsschock zu einem ganz großen Teil aus dem Ausland kam, sprich, durch die Energiepreise, profitieren natürlich diejenigen, die Energie verkaufen, die also in diesem Fall im Ausland saßen. Es gibt immer wieder den Verdacht, dass es bei Preissteigerungen zu Mitnahme-Effekten kommt, dass einige sagen: „Ja komm', wenn die Preise überall steigen, können wir sie jetzt auch mal erhöhen.“ Da gab es ein paar Hinweise, aber inwieweit das insgesamt einen nennenswerten Effekt hatte, kann ich nicht sagen. In der Energiekrise konnte man beim Tankrabatt sehen, dass dieser Rabatt nicht vollständig an die Autofahrer:innen weitergegeben wurde. Da haben sich die Mineralöl-Konzerne höchstwahrscheinlich einen Extragewinn abgezwackt. Grundsätzlich, wenn so ein Inflationsschock von außen kommt, profitieren eben diejenigen, die die Energie bereitstellen. 

„Eine klare Trennung und klare Polarisierung“ 

Welche ökonomischen Lösungen bieten die politischen Lager an?

Das kann man nicht ganz leicht auf einen Nenner bringen, aber ich würde mal sagen, dass es eine recht klare Trennung und auch wieder eine klarere Polarisierung gibt. Programmatisch gab es das auch bei der letzten Wahl durchaus schon, aber in der praktischen Politik sah das in Koalitionsregierungen immer anders aus. Aber es ist schon so, dass wir ein rot-grünes Lager haben, das auf eine bestimmte Richtung setzt, und ein CDU/FDP-Lager – zum Teil kann man die AfD dazuzuzählen, aber so richtig festlegen lassen die sich nicht, in manchen Aspekten sind sie sehr anders unterwegs – zum BSW kann ich gar nichts genau sagen. Wenn man Rot-Grün und Schwarz-Gelb gegenüberstellt, ist es so, dass Union und FDP wieder stärker in Richtung Marktorientierung, Deregulierung, Steuersenkungen gehen wollen, vor allem für Unternehmen und für sehr reiche oder wohlhabende Haushalte und ihre Ziele wieder viel stärker marktwirtschaftlich erreichen möchten. Bei Rot-Grün ist es so, dass stärker auf staatliche Verantwortung, stärkere öffentliche Investitionen und gerade auch eine stärkere staatliche Rolle und Ausgaben in der Klimapolitik, der Industriepolitik und der Energiepolitik gedrängt wird. Was die Steuerpolitik angeht, wollen sie eher die unteren Einkommensschichten oder die Mitte entlasten und oben etwas stärker zugreifen. Union und FDP haben Steuersenkungen im Volumen von 100 Milliarden, die FDP sogar von 130 Milliarden versprochen, da ist es vollkommen unklar, wie diese gigantischen Beträge finanziert werden sollen. Das weist auch schon darauf hin, dass es die in dieser Form nicht geben wird, weil es eben völlig unrealistisch ist. Ein weiterer Punkt, der im Hinblick auf die öffentlichen Investitionen wichtig ist: Während FDP und auch Union sich zur Schuldenbremse bekennen, fordern Rot und Grün eine Reform der Schuldenbremse, insbesondere in einer investitionsorientierten Form, damit die zukunftsorientierten Ausgaben kreditfinanziert werden können. Das sind so die wesentlichen Trennlinien. Bei der FDP weiß man ja noch gar nicht, ob sie im Bundestag vertreten sein wird, aber Union, SPD oder Grüne, das sind diejenigen, die wahrscheinlich in der Regierung sein werden, also die Union als stärkste Kraft und Grün oder Rot als Partner. Die Grünen werden ja von Union und FDP hart angegangen – gut, das ist halt Wahlkampf – aber wenn man sich die Programme ansieht, ist es eigentlich nicht so, dass man am Ende nicht einen vernünftigen Kompromiss finden könnte. Denn öffentliche Investitionen zu fördern, den Klimaschutz hinbekommen, Energie günstig machen und damit der Industrie helfen, das sind lauter Programmpunkte, in denen sich eigentlich alle einig sind. Daher wird man Kompromisse schließen und das müssen aus meiner Sicht auch keine faulen Kompromisse sein, sondern das kann am Ende etwas sehr Vernünftiges ergeben. Das ist die Hoffnung, es kann auch sein, dass alle völlig irrational sind – aber das glaube ich nicht. 

Die Schuldenbremse wird geradezu zur Glaubensfrage erhoben. Im Ausland wundert man sich über den deutschen „fiscal fetishism“. Ist die Schuldenbremse ein deutscher Sonderweg?

Das ist nicht nur eine Frage von außen oder innen – mittlerweile ist aus Sicht der wirtschaftlichen Beratung die dominierende Haltung, dass eine Reform der Schuldenbremse in irgendeiner Form nötig ist. Das sagt der IWF, das sagt die OECD, die Bundesbank, wir als Sachverständigenrat haben uns für eine Reform ausgesprochen. Auch in vielen konservative Instituten gibt es Stimmen, die sich für Reformen aussprechen. Da geht es dann manchmal ums Wording. Man ist total für die Schuldenbremse, befürwortet unter bestimmten Bedingungen aber ein großes kreditfinanziertes Sondervermögen, so ähnlich wie dasjenige für die Bundeswehr, aus dem man dann für viele Jahre die nachzuholenden Investitionen bei Verteidigung, bei Infrastruktur und so weiter finanziert. Letztlich ist es rhetorisch, denn scheinbar wird die Schuldenbremse zwar nicht angetastet – man ändert aber das Grundgesetz so, dass man neben dieser Schuldenbremse kreditfinanziert jede Menge Ausgaben tätigen kann. Im Grunde ist es so: Nur noch ganz wenige von denjenigen, die in der Debatte eine Rolle spielen, bekennen sich wirklich noch zur strengen Auslegung der Schuldenbremse ohne Ausnahmen. Mittlerweile herrscht doch ziemlich klar die Ansicht vor, dass man da was ändern kann und sollte. In der Politik ist es auch nicht so klar – wie gesagt, Rot und Grün bekennen sich dazu. Das ist auch nicht selbstverständlich. Vor zehn Jahren wäre das in den beiden Parteien noch nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung gewesen. Aber jetzt bekennen sie sich dazu, dass es geändert werden soll. In der Union ist es so, dass sich einige Ministerpräsidenten schon dahingehend geäußert haben, dass sich da was tun muss und am lautesten eigentlich der regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegener. Friedrich Merz selbst hat sich dazu bisher eher unklar geäußert, das sei eine technische Frage, und wenn es für Investitionen ausgegeben werde, könne man drüber reden. Das ist dann von Carsten Linnemann wieder eingefangen worden und klar, es ist Wahlkampf, da will man als Union keine Debatte, indem man sagt, wir ändern die Schuldenbremse. In den Koalitionsverhandlungen werden die Karten aber neu gemischt.

„Die Frage ist, ob es gelingen wird, Ungleichheit in Einkommen und Vermögen wieder rückgängig zu machen“

Welche Wirtschaftspolitik scheint unter den wahrscheinlichen Regierungskonstellationen möglich?

Man wird sich da einigen müssen. Die eine Seite möchte bestimmte Steuersenkungen, die andere Seite möchte eine Steuerpolitik, die stärker oben zugreift, da muss man einen Kompromiss finden. Die eine Seite möchte ganz stark entlasten, weiß aber nicht, wo das Geld herkommen soll, aber alle sind sich einig, dass doch eine ganze Reihe von Ausgaben getätigt werden müssen. Wenn man eine Reform der Schuldenbremse hinbekommt, kann man einiges im Übergang mit Krediten finanzieren, und für alles andere muss man sich in der Mitte treffen, das ist aber nicht unmöglich. Ehrlich gesagt, der ursprüngliche Ampel-Kompromiss im Koalitionsvertrag war doch auch ganz vernünftig. Da sind viele Sachen offengeblieben, keine Frage, aber durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde endgültig ausgeschlossen, dass man so weiterkommt, dabei wäre das ökonomisch durchaus vernünftig gewesen, es wäre gut, wenn man das hätte durchziehen können. Dann hat die FDP irgendwann aufgrund der schlechten Wahlergebnisse der Mut verlassen und sie sind immer weiter zurückgerudert. Ich hoffe, dass die Regierungskoalitionen, die sich jetzt abzeichnen, stabiler sind. Sollte die Union die stärkste Regierungspartei werden, ist es ja nicht so, als ob sie in der Vergangenheit keine stabilen Regierungen geführt hätte. Auf dem Weg zur Regierungskoalition können die Debatten aber noch einmal sehr aufgeregt werden.

Um den Teufel an die Wand zu malen, falls sich die „Brandmauer“ hierzulande als ebenso brüchig erweist, wie in Österreich: Welche Wirtschaftspolitik würde eine schwarz-blaue Koalition betreiben?

Also da sage ich gar nichts dazu. Friedrich Merz hat sich als Kanzlerkandidat der Union felsenfest zur Brandmauer bekannt und seine politische Zukunft damit verknüpft. Auf welcher Basis sollte ich jetzt spekulieren, wie das aussehen würde, würden sie doch koalieren? Ich glaube, dass das nicht zur Debatte steht und halte das auch für glaubwürdig. Es wäre unverantwortlich, Spekulationen über eine Koalition anzustellen, die einfach nicht zur Debatte steht. 

Welche Maßnahmen kämen tatsächlich der Bevölkerung zugute, nicht nur den Unternehmensbilanzen? 

Wenn es einen Aufschwung gibt, die Investitionen wieder anspringen und die Beschäftigung wieder gut läuft, haben wir eigentlich schon die Mechanismen, die sich auf die Löhne und damit die Masseneinkommen auswirken. Es wäre natürlich anders, wenn die Politik einseitig eingreift, kräftig dereguliert, die Arbeitnehmer alles bezahlen lässt und nur Unternehmen und Reiche entlastet, dann käme eine Schieflage rein. Von einzelnen Maßnahmen abgesehen, sehe ich das aber nicht grundsätzlich. Die Frage ist, ob es gelingen wird, das, was mittlerweile über die vergangenen Jahrzehnte an Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen aufgebaut wurde, wieder rückgängig zu machen. Das dürfte in den aktuell aussichtsreichen Koalitionen aber schwierig werden.

Interview: Christopher Dröge

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