Leicht benebelt ist man im verdunkelten und fast ausverkauften Pavillon der Philharmonie Essen, wenn der New Yorker Jazz-Pianist Vijay Iyer mit seinem Trio die Bühne betritt. Die Farbwechsel entlang der beleuchteten Wände erzeugen eine fast esoterische Atmosphäre, die Gesichter der Musiker erscheinen glühend rot – alle Zeichen werden so gestellt, als erwarte man ein Ausnahmekonzert.
In der Tat ist das, was Vijay Iyer mit seinem Bassisten Stephan Crump und dem Drummer Marcus Gilmore darbietet, ein Schnellzug, der das Publikum geradewegs auf noch unbetretenes Jazz-Terrain führt. Die ersten vier Stücke werden weder groß angekündigt noch mit längeren Pausen zum Klatschen unterbrochen. Irgendwo dazwischen erhaschen Kenner im Publikum bekannte Töne, weil es sich beim dritten Song um „Accelerando“ handelt, dem Stück aus dem gleichnamigen, mehrfach ausgezeichneten Album des Trios.
Mit fünf Auszeichnungen, die ihm das renommierte Jazz-Magazin „Downbeat“ im letzten Jahr verliehen hat, ist Iyer der Durchstarter im internationalen Jazz. Essen gehört zu zwei seiner Konzerttermine in NRW, der letzte ist in Köln.
Was den Hype um Iyer ausmacht, konnte man in Essen ein Stück weit erfahren. In seinem Spiel sind die Melodien bestenfalls angedeutet, ihre Fetzen lagern oft übereinander, wenn der New Yorker auf seiner Klaviatur beschleunigt. Dann springt er in Passagen aus satten Blockakkorden, während seine linke Hand diese immer feineren Tonbildungen weiter hervor zaubert. Pausen, Tempowechsel und Lautstärken – alles scheint ihm mühelos von der Hand zu gehen. Marcus Gilmore an den Drums variiert seine Rhythmen mehrfach nacheinander, liegt mit seinem Tempo mal vor, mal hinter seinem Pianisten – und dennoch hat das Ganze eine tief harmonische, nahezu erhabene Struktur.
Mit seinen groovenden, fast schon poppigen Stücken wie „Galang“ hielt sich Iyer an diesem Abend zurück. Dafür durfte man vor allem im zweiten Teil des Konzertes die minutenlangen Solo-Improvisationen von ihm und seinen Kollegen hören. Besonders Stephan Crump entlockte mehrmals dem hölzernen Klangkörper seines Basses beeindruckende Tiefen.
Man könnte meinen, dass bei Iyer, der neben einem Magister in Physik und Mathematik in den Musikwissenschaften promovierte, die Arrangements eine bessere Formelsprache wären. Aber schon beim Interview mit Ulrich Beckerhoff in der etwas zu lang geratenen Pause macht er klar: „Ich wollte nie Musiker werden, ich wusste nicht einmal, dass ich es werden könnte.“ Das Allroundtalent, das seit dem dritten Lebensjahr Violineunterricht nahm, blieb dadurch unbefangen und gewöhnte es sich an, mit seinen Formationen fröhlich herumzuexperimentieren.
Ein rasantes Ergebnis davon bekam das Essener Publikum zu hören. Nicht wenige werden sich wohl nach diesem Trip im Schnellzug des Vijay Iyer Trios nicht nur von der Bühnenwand benebelt gefühlt haben.
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