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Foto: Danny Willems

Ein Wunder, zornig und schön

10. April 2014

Wim Vandekeybus zeigt noch einmal seine revolutionäre Debüt-Inszenierung – Tanz in NRW 04/14

Eine Provokation ist diese Choreographie auch nach drei Jahrzehnten noch. Selbst das laute Stampfen, bei dem die Tänzer ihre schweren Schuhe in den Boden rammen, lässt heute noch unmissverständlich erkennen, dass hier ein Künstler mit Getöse und einem unbedingten Willen zur Veränderung die Bühne des Europäischen Tanzes betrat. Der Belgier Wim Vandekeybus brachte eine Auffassung vom Tanz und seiner Produktion hervor, die sich als eine Lebensform darstellte, bei der nicht nur wie bei einer Großfamilie Arbeit und Privates verschmolzen, sondern auch die Kunstformen Film, Tanz, Performance, Video und Musik tollkühn miteinander gekreuzt wurden.

Jetzt, 27 Jahre nach der Premiere, zeigte Vandekeybus in einer Neueinstudierung sein Debüt „What the body does not remember“ im Depot 1 des Kölner Schauspiels. 1987 schockte der Belgier die Tanzwelt mit diesem zornigen Act. Gleich in der Eröffnungssequenz offenbarte sich der damals neue Ansatz seines Ensembles Ultima Vez. Bei Vandekeybus denkt sich der Tanz. Auf einem Tisch kratzt jemand mit den Fingernägeln über die Holzplatte, und so wie die Hand schleift, klopft und schlägt, bewegen sich auf dem Boden die Körper zweier Tänzerinnen, manchmal mit einer geradezu höllischen Geschwindigkeit.

Der Körper muss den akustischen Vorgaben eines zunächst noch zögerlichen Nachdenkens folgen. Dann regieren Macht und bedingungslose Herrschaft, ohne dass eine Geschichte erzählt werden müsste. Was eben streng exerziert wurde, wiederholt sich dann spielerisch, wenn auch nicht weniger spannend, weil nun Gefahr aufkommt. Jemand wirft einen Ziegelstein in die Luft und irgendjemand wird ihn auffangen. Gleich einem Gedanken, einer Idee, die ausgesandt wird, sausen die Ziegelsteine bald über die Bühne, und immer – welch ein Wunder – findet sich ein Mann oder eine Frau, die ihn noch gerade rechtzeitig fängt. Verbindungen und Dialoge ergeben sich. Dieses Motiv wird mit Jacken und Handtüchern variiert. Großartige Tanzmomente ergeben sich, wobei der Kitzel des Risikos spürbar bleibt.

Er gipfelt in jenem Spiel, bei dem man mit einem Messer schnell zwischen die Finger einer Hand sticht. Hier ist es eine Frau, die auf der Erde liegt und den Sprüngen eines Mannes ausweicht, der sie zu zermalmen droht. Dann wechseln die Rollen und der am Boden liegende Mann muss der Frau ausweichen. Das alles ist auf Herausforderung angelegt, körperlich wie intellektuell, wenn sich auch in dieser frühen Produktion die erzählerische Dramatik der späteren Arbeiten nur andeutet. Hier bleibt die Geste des Körpers noch vereinzelt, sie ist noch nicht Teil einer Geschichte. Später folgen Tragödien wie „Ödipus/Bet Noir“, in der es dem Belgier gelingt, den antiken Mythos in die Realität unserer Tage zu holen und uns zu zeigen, dass der Missbrauch der Kinder schon in diesen archaischen Stoff der abendländischen Kulturgeschichte eingewebt war.

Aber die Neueinstudierung des Debüts zeigt auch, dass von Beginn an bei Vandekeybus um alles getanzt wurde, die neun Männer und Frauen agieren in jedem Augenblick kraftvoll und entschlossen. Angetrieben werden sie von den elf Musikern des Ictus Ensembles, das Vandekeybus vor 20 Jahren in Brüssel gründete, und das heute Weltruhm genießt. Die Musik ist der andere große Beweger dieser Choreographie. Mit Percussion, Cello, Klarinette und Posaunen treiben die Originalkompositionen von Thierry de Mey und Peter Vermeersch das Geschehen auf der Bühne fast ohne Atem zu holen voran. Das Publikum reagierte begeistert und erhielt noch eine 20-minütige Zugabe von Vandekeybus. Der sich gelöst gab und seit den Koproduktionen der letzten Jahre mit dem Kölner Schauspiel den Auftritte in der Domstadt wie Heimspiele angeht.

Thomas Linden

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