Samstag, 12. Oktober: Dani Levy liefert diesen Donnerstag mit „Die Welt der Wunderlichs“ einen satirisch-überspitzt-unterhaltsamen Blick auf den von psychischen Problemen durchsetzten Alltag und moderne Formen der Alltagsflucht. Seine musikalische Tragikomödie hat echtes Kinoformat, man merkt, dass der Filmemacher nach sechs Jahren Kino-Pause die große Leinwand vermisst hat. Teil seiner Strategie: Markante Figuren mit psychischen Problemen treffend besetzen und jedem Schauspieler Gelegenheit für tolle Momente geben: Katharina Schüttler, Peter Simonischek, Steffen Groth, Christiane Paul, Hannelore Elsner und Martin Feifel überzeugen in einem von Star-Ambitionen und (Familien-)Stress geprägten Roadmovie-Szenario mit zärtlichen und versöhnlichen Momenten. Nach der Filmsociety-Preview im Cinenova, für die Levy mit Schauspieler Steffen Groth in Köln haltmachte, gab es Publikumslob für seine Regie und die tollen Darbietungen. Leicht sei das aber nie, ein Filmprojekt sei „ein längerer Weg, der auch in viele Sackgassen führt, in denen man gar nicht weiß, wie man wieder rauskommt“, so Levy auf eine Frage von Filmdienst-Chefredakteur Horst Peter Koll.
Leichter sei es immerhin durch digitale Kameras geworden, die ihm einen Arbeitsstil erlauben, der Spontanität zulässt: „Seit dem Film ‚Väter‘ (2002) drehe ich grundsätzlich mit zwei, manchmal auch mit noch mehr Kameras. Zugleich bin ich zu einem Arbeitsstil übergegangen, der insofern sehr effizient ist, als ich gar keine Proben mehr mache.“ Das gelte auch für das Filmteam, das auf alles vorbereitet sein müsse: „Die Technik muss auf Schauspieler reagieren und nicht umgekehrt. Die Schauspieler kommen raus und wir fangen einfach an. Es gibt keine Verabredungen, es gibt auch keine Ansagen von mir, wo sie sein dürfen oder wo sie nicht sein dürfen – sie können den Raum so bespielen, wie sie ihn bespielen wollen. Daraus entsteht eine ganz impulsive Art des Drehens. Auch zwischen den Takes sage ich den Schauspielern oft: ‚Mach’s doch nochmal völlig anders. Du bist nicht gebunden an die Takes, die du schon gedreht hast.‘“ Seit seinem ersten Film sei ihm wichtig: „Filme machen ist Fehler machen.“ Die schauspielerischen Leistungen, auf deren Entdeckung in der Filmbranche er jetzt hoffe, seien für ihn „keine Regieleistung“, sondern Geschenke: „Alle Schauspieler, finde ich, spielen ganz schön an einen Rand hin und an eine Grenze.“
Für Schauspieler Steffen Groth, der mit Levy schon „Alles auf Zucker!“ drehte, ist Levys Arbeitsweise dann auch eine Herausforderung: „Erstmal macht es Angst, weil es ein Freiflug ist und ich mich an nichts festhalten kann. Aber dann gab es immer den Moment, wo ich mir dann sage: ‚ Scheiß drauf, jetzt hau ich mal richtig rein.‘ Jeder Take ist dadurch neu und nicht der Versuch, das, was ich mal hatte, wiederherzustellen – was dann oft auch sichtbar wird.“
Die Besetzung überlässt Levy umso weniger dem Zufall. Er lasse auch sehr bekannte Schauspieler nie ohne ein Casting davonkommen, auch um zu sehen, wie auf Grundlage seiner Dialoge letztendlich alles wirkt und funktioniert. „Die Vorbereitung ist anstrengend, das Drehen für mich im Vergleich relativ entspannt.“ Über die Hauptfigur Mimi sagt er: „Es war gar nicht einfach, eine Frau zu finden für diese Figur, die all das mitbringt, was Katharina Schüttler mitbringt, also die Überforderung, gleichzeitig die Komik, die Liebe, das mit dem Kind, und als Tochter der beiden wirklich schwierigen Eltern glaubwürdig zu sein.“ Danach sei es um die Stimme gegangen, zumal Mimi Singer-Songwriter-Ambitionen hegt und im Film zu einer Schweizer Castingshow aufbricht. „Katharina kann eigentlich gut singen, sie hat auch bei ‚Unsere Mütter, unsere Väter‘ gesungen, aber es war nicht die Stimme, die ich mir vorgestellt habe, die ein Singer-Songwriter und ein unentdecktes Talent hat. Und diesen Druck wollte ich ihr auch von Anfang an nehmen, weil man das nicht einfach so hinkriegt. Wir haben deshalb parallel nach der Sängerin gesucht, die zu Katharina passt und auch diese tolle Stimme mitbringt.“
Nach dem hyperaktiven Kind für die „symbiotische Mutter-Sohn-Beziehung“ habe man nach früheren schlechten Erfahrungen auch sehr lange gesucht, und immer wieder habe Levy bei den besten Kandidaten doch festgestellt: „Die berühren mich nicht wirklich. Ich fand sie zu funktionierend, zu fit, wie so Film- oder Fernsehkinder oft sind. Die haben so was Gesundes.“ Zwei Wochen vor Drehbeginn habe seine Frau eine alte Bekannte getroffen, die auf ihren Sohn hinwies. „Das passiert einem ständig auf der Straße, alle haben halt Söhne, die zum Film wollen. Dann haben wir den Ewi Rodriguez halt ausprobiert. Er hat das auch nicht schlecht gemacht, aber da gab es etwas mehr als das, was mich sehr berührt hat bei ihm, den ich sehr besonders fand und gleichzeitig so ‚ungeeignet‘, dass ich gesagt habe: ‚Lass es uns mit ihm probieren.‘ Es war sehr schwierig, er war sehr unbalanciert, aber es war einfach er, der mich so durch den Film getragen hat, auch durch die Dreharbeiten.“
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