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Kai Krick spricht mit Johannes F. Sievert (Mitte) und Lisa Gotto

Versunkenes Genre-Kino

12. Juli 2016

„Verfluchte Liebe deutscher Film“ bei den Kölner Kino Nächten – Foyer 07/16

Freitag, 8. Juli: Die deutsche Filmgeschichte ist lang und unübersichtlich. Vieles ist vergessen, verschüttet oder verstaubt in Archiven, ganze Bewegungen und Genres sind im öffentlichen Bewusstsein kaum noch präsent. So wie scheinbar jede filmhistorische Entwicklung eine Gegenreaktion provoziert, so gibt es auch verschiedene Sichtweisen auf die Filmgeschichte an sich und auf die Versuche, in Zeiten der zunehmenden Verfügbarkeit alter Filme einen Kanon zu konstruieren. Regisseur Dominik Graf hatte in seinen öffentlichen Äußerungen immer wieder bedauert, was da alles unter den Tisch falle, und fand in dem ifs-Absolventen Johannes F. Sievert jemanden, der wie er das deutsche Genrekino kannte und liebte. In gemeinsamer Arbeit entstand „Verfluchte Liebe deutscher Film“, eine Mischung aus Dokumentarfilm und Filmessay, das in einer alternativ fokussierten Filmgeschichte die Protagonisten und Werke eines fast vergessenen deutschen Genrekinos der 50er bis frühen 80er Jahre in Erinnerung bringt. Was machten, was dachten, was wollten Regisseure wie Klaus Lemke, Roland Klick, Rolf Olsen, Alfred Vohrer oder Roger Fritz, oder auch Schauspieler wie Mario Adorf, Gisela Hahn und Klaus Kinski, die auch im italienischen Genrekino ihr Glück suchten?


Johannes F. Sievert arbeitete mit Graf als Mentor an seinem ersten Film „Von Zeit zu Zeit“

„Ich habe gemerkt, dass wir eine ähnliche Liebe zu den gleichen Filmen verspüren“, sagte Sievert bei den Kölner Kino Nächten über den Beginn dieser Zusammenarbeit mit Graf, die er selbst angeregt habe. Er selbst, die im Film vertretene Filmwissenschaftlerin Lisa Gotto (ifs) und Moderator Kai Krick, dessen Festival „Besonders wertlos“ den Film ja bereits präsentierte, erinnerten sich an Zeiten, wo sie Filme noch vom Fernsehen auf Tonbandkassette aufgenommen hätten oder ausgemusterte Videokassetten von Videotheken kaufen mussten, weil etwa „Dawn of the Dead“ laut Krick sonst 298 Mark kostete. So sei Krick dann auch vor zwanzig Jahren zu Zufallsentdeckungen wie „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“ (1967) gekommen: „Wir waren vollkommen begeistert, dass ein solches Genre-Kino, so ein explosiver Gangsterfilm in Deutschland entstanden ist. Wir hatten davon nichts gehört“ – obgleich er ebenso wie Sievert und Gotto in Bochum Theater-, Film- und Medienwissenschaften studierte. Es habe auch für Referate zu dieser Art Film in den 90er Jahren kein Material gegeben.


Lisa Gotto: „Kanonbildung unterliegt auch Schwankungen“

Lisa Gotto weiß, dass das in vielen popkulturellen Bereichen so ist. „Man kann ganz Ähnliches auch für Comics sagen: was sich ökonomisch bewährt und was anschlussfähig ist, was aber in eine bestimmte Art von Ordnung nicht reinpasst. Diese Art von Kanonbildung, was kulturell angemessen und akzeptabel ist, das unterliegt aber auch Schwankungen und Konjunkturen. Nicht alles ist zu jeder Zeit zugänglich und auf die gleiche Art und Weise. Man kann das auch für die frühe Filmgeschichte ganz klar verfolgen, dass man Filme überhaupt nicht als Kulturgut betrachtet, das archiviert wird. Umso wichtiger sind genau solche archäologischen Grabungen. Dafür braucht man im Übrigen keine Universität – also da kann man lange warten, dass mal etwas aus dem Material selbst heraus erschlossen wird.“ Der Film wolle auch zeigen, dass ein Kanon nicht feststehe und alle ein Wörtchen mitzureden hätten.

Auf die Finanzierung angesprochen, sagte Sievert, dass der WDR und Arte schnell ab Bord gewesen seien, dann „haben wir aber gemerkt, dass eine Fernsehförderung alleine nicht ausreicht, sondern es musste bei der Filmstiftung noch einmal ganz normal ein Antrag gestellt werden.“ Obwohl die Funktionsweise der Filmförderung öffentlich von Graf und in dem Film vor allem von Roland Klick kritisiert wird, sei dies „sehr unproblematisch“ gewesen und man habe Ende 2014 beginnen können. „Wir hatten eine Grundliste von Leuten, die uns wichtig waren, aber vieles kam erst dadurch, dass jemand meinte: Es gibt doch noch den und den, oder ich habe den Kontakt zu dem und dem.“ Lisa Gotto erinnerte sich, zu dem Projekt gestoßen zu sein, „weil wir uns gestritten haben“, als „hier im Haus“ das geplante Projekt präsentiert worden sei. Dann habe man sich „angemailt und weiter ausgetauscht“.

Darüber, dass sein Film, der zu Wieder- und Neuentdeckungen Lust machen wolle, auf Festivals wie der Berlinale gezeigt werde und eventuell eine „kleine Kinoauswertung“ 2017 möglich sei, ist Sievert sehr glücklich, da die Finanzierung als reine Fernsehförderung abgelaufen sei und die Rechte an vielen Filmausschnitten für das Kino unbezahlbar gewesen wären. Erst nach der Berlinale seien viele Verleiher mit den Preisen heruntergegangen. Ein zunächst nicht geplanter zweiter Teil solle demnächst in den 80er Jahren anknüpfen und bis in die Gegenwart führen: „Wir sind mittlerweile beim Schnitt auf 80 Minuten, und ich denke immer noch, das ist kurz.“


Zwei „Schatzsucher“: Kai Krick und Johannes Sievert

Aus dem Publikum meldete sich unter anderem Filmkritiker Daniel Kothenschulte zu Wort, der eine Trennung zwischen dem kommerziellen, dem Autoren- und dem hingegen vergessenen „anderen“ Film für eine Zementierung der Vorurteile der bestehenden Kanonbildung hält, obwohl es einen künstlerisch wertvollen Genrefilm gebe. „Wenn wir die Geschichte anders erzählen würden, wenn wir z.B. gucken, was gibt es eigentlich in den 50er Jahren an künstlerischem Genre, „Der Verlorene“ von Peter Lorre zum Beispiel, Helmut Käutners „Schwarzer Kies“ oder „Herrenpartie“ von Staudte. Das sind so Filme, die künstlerische Filme, aber gleichzeitig auch Genrefilme sind, dann fällt man vielleicht nicht so auf diese strenge Trennung rein.“

Sievert antwortete, dass es nicht darum gehe, den Genrefilm als das „einzig Wahre“ darzustellen. „Es ging uns mehr darum aufzuzeigen, dass es den eben auch gab, dass es da auch sehr gute Filme gab, die es sich lohne wiederzuentdecken.“ Gotto sieht zwischen Kunst- und Genrekino wenig Vermischung, es seien eher natürliche Oppositionen, „auf allen Ebenen, also von der Produktion her schon, aber auch von dem, was Kritik irgendwann sagen wird. (...) Man versucht [zu kategorisieren], um Abläufe klarzukriegen, aber jeder weiß insgeheim auch, dass das eine Hilfskonstruktion ist. Die Filme brauchen die Trennung auch, um sich selber zu positionieren.“ Zum Bespiel sei Independent-Film auch nur als Abgrenzung vom Studiosystem zu verstehen.

„Verfluchte Liebe deutscher Film“ läuft in diesem Jahr weiterhin auf Filmfestivals. Gelegenheiten, ältere deutsche Genre-Produktionen auf der Leinwand zu sehen, bieten unter anderem der Filmclub 813 und das „Besonders wertlos“-Festival, das im März wieder stattfinden soll.

Text/Fotos: Jan Schliecker

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