So ist das mit dem Journalistendasein. Manchmal kommt einem einfach der Redaktionsschluss dazwischen. So auch Mitte Dezember, als ein bekanntes Gesicht in meinen Maileingang flatterte. „Ist er es?“ Rätselte ich noch kurz, aber er war es wirklich: Hans Nieswandt. Beim Redaktionsschluss dieser Zeilen hat er sie bereits angetreten, seine neue Stelle als Leiter des Instituts für Populäre Musik in Bochum, das verwirrenderweise zur Folkwang-Hochschule in Essen gehört. An dieser Stelle erst mal „Glückwunsch!“ an Hans Nieswandt. Was allerdings kulturell für die Region dabei abfällt, ist zur Stunde noch offen.
Warum ich das erwähne? Nicht aus Neid oder Misstrauen oder weil ich finde, dass Pop und Unis nichts miteinander zu tun haben sollten. Sondern, weil es mittlerweile in sekundär mit Kultur beschäftigten Kreisen so üblich ist. Dieser Eindruck bleibt auf jeden Fall hängen, wenn man sich durch die Textsammlungen liest, mit denen hauptberufliche Kulturförderer ihre Arbeit zu rechtfertigen versuchen.
Kultur ist da nicht als Material wie Bücher, Filme oder Songs, auch nicht als Arbeit am Material, wie Schreiben oder Musikmachen wichtig, sondern als Erzeuger von Sekundäreffekten. Der neueste dieser Sekundäreffekte nennt sich „Spillover“. Zumindest, wenn man einer Broschüre der in Dortmund angesiedelten Kulturförderanstalt ECCE glauben will. „Spillover“ meint dort, dass kulturelle Tätigkeit über sich selbst hinausweist und soziale Folgen besitzt.
Als jemand, der schon mal zu Verführungszwecken ein Mixtape zusammengestellt hat, glaube ich diese Behauptung im Prinzip selbstverständlich gerne, auch wenn die Autoren der Studie dabei anderes im Kopf haben: nämlich Kultur als Form des Sozialengineering. Interkulturelle Verständigung kann die Kultur laut der Studie leisten, die „Projektifizierung“ der neuen Arbeitswelt vorwegnehmen, auf den Klimawandel aufmerksam machen und „utopisches Material“ in die Stadtentwicklung einspeisen.
Nun weiß ich nicht, welches „utopische Material“ die Autoren der Studie meinen. Mein in der „Projektifizierung“ kreativjobbender Freundeskreis wäre aber in der Regel mit einer Mischung aus bezahlter Miete, einigermaßen gefülltem Kühlschrank und der Möglichkeit sich auf ihre Fähigkeiten, anstatt aufs forcierte Kleinstunternehmerdasein zu konzentrieren, als Utopie erst mal ganz zufrieden. Der praktische Weg dahin wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen, aber das taucht in dieser Broschüre aus irgendeinem Grund nicht auf.
Was hat das jetzt mit Hans Nieswandt und seiner Musik zu tun? Erst mal wenig. Ok, bei seinem House-Projekt Whirlpool Productions war ein Amerikaner an Bord (Interkultur!), auf einer illegalen Party hat er vermutlich auch schon mal aufgelegt (Stadtentwicklung!) und als DJ wird man in der Regel „projektifiziert“ bezahlt, wenn der Auftritt vorbei ist. Aber ist der schönste Spillover-Effekt von Nieswandts Musik, wie auch von Pop im Allgemeinen, doch eine gewisse Zwecklosigkeit. Sie zeigt sich im hedonistischen Überschuss, im verzückten Lachen auf „From Disco to Disco”, im DJ-Mix und überall dort, wo Pop für ein paar Stunden Affekte bereitstellen, deren Spillover nicht messbar ist und bei denen manchmal sogar die Sprache versagen darf. Zum Glück.
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