Um es gleich vorwegzunehmen: Das neue Album „Sie nannten ihn Dreirad“ des Musikers und Schriftstellers Heinz Strunk ist eine Sensation! Darunter sollte man es in keiner Besprechung machen, aber alles der Reihe nach: Seit mehr als zwanzig Jahren kämpft der Hamburger einen aussichtslosen Kampf gegen die Verdummung. Zusammen mit Jacques Palminger und Rocko Schamoni rettete er als Studio Braun zunächst die Ehre des deutschen Humors und spätestens mit der Verfilmung seines Bestsellers „Fleisch ist mein Gemüse“ ist Heinz Strunk auch einem Publikum jenseits von Special Interest bekannt.
Nun also ein neues Album aus dem Genre „Musik“ – es ist die neunte Solo-Platte des mittlerweile 52-Jährigen. Die auf dem Hamburger Label Audiolith erschienene und mit einem grotesk hässlichen Artwork versehene LP beinhaltet zwölf Kompositionen gnadenloser musikalischer Limitierung bei gleichzeitig größter sprachlicher Verdichtung. Jeder Song ist für sich genommen ein kleines Meisterwerk der Denkkunst. Vielleicht haben wir hier die lustigste Platte, die je auf deutscher Sprache erschienen ist. Gleich der erste Song („Rien ne va plus“) ist ein dialektischer Hit, in dem es beschwörend heißt: „Der schwarze Fakir Günther Voss kniet vor der Liebesschlange Bogomir und lässt sich den schon halb verdauten chinesischen Glückskeks aus seinem Sackmagen herauslecken.“ Strunk schreibt an gegen den Schwachsinn der Verständlichkeit, gegen den Terror der guten Laune, gegen die Diktatur der Erwartbarkeit. Es fällt schwer, einzelne Songs herauszuheben, das Album hat – so verrückt es klingt – keine Schwächen. Man hört in einem Rausch.
Dort, wo Konsumenten heute „abgeholt“ werden sollen, wo man es ihnen möglichst einfach machen will, anstatt sie vor ästhetische Aufgaben zu stellen, geht Strunk den steinigen Weg. „Sie nannten ihn Dreirad“ schert sich weder um Verständlichkeit noch um Moral. In einem Song heißt es: „Kleiner geiler Fernsehkoch, rührst mit deinen dicken, kurzen Armen in der Hacksoße und träumst von einem eigenen Restaurant, wo du jeden Abend das Geld säckeweise nach Hause schleppst. Läuft aber nicht, du Affe.“
Das Verblüffende an dem Album, es lässt sich auf sehr angenehme Weise hören. Es ist, als hätte Warren G den Humor für sich entdeckt, irgendwas zwischen G-Funk und Easy Listening zwischen Motivations- und Wutrede, zwischen Beschwörung und Abrechnung. „Ich weinte einmal, weil ich keine Schuhe hatte, bis ich einem Mann begegnete, der keine Füße hatte“, heißt es auf dem vielleicht schönsten Stück „Aufnehmen – Bewerten – Handeln“. Wir sollten diese Platte sehr wichtig nehmen, sie ist eine beherzte, Mut machende Aufforderung zur Handlungsunfähigkeit.
Es lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, was uns Strunk auf seiner laufenden Tour „Das Strunk-Prinzip“ im Detail anbieten wird, schließlich ist jüngst auch sein gleichnamiges Buch erschienen – wir sollten aber vertrauen, es kann nichts Falsches sein.
CD Heinz Strunk: „Sie nannten ihn Dreirad“ | Audiolith
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