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Objekt der Begierde
Foto: Bildwerk / Adobe Stock

Traumhaft

27. November 2019

Innenansichten einer Wohnung

Die Menschen suchen mich. Verzweifelt.

In Wahrheit existiere ich nicht. Denn: Von mir gibt es zu wenig. Aber hey: Immerhin bin ich das heißeste Wort in den Google-Suchmaschinen. Gleichzeitig das meistbezahlte. So geben die Menschen für schlappe zwei Quadratmeter von meiner beschissenen Nicht-Existenz irre 950 Euro aus, zumindest in manchen Großstädten. Ständig werden Körperteile kompliziert an mich dran geschraubt, auf mir herum gehauen, bis der Putz abfällt, sodass mich stets schöne, wenngleich extrem laute, Baustellen umgeben, wo immer ich mich aufhalte. Inzwischen sind mir – wie bei einer Hydra oder einer Medusa – mehrere Köpfe, Ohren und Schwänze gewachsen und mit meinem Körper verwoben, sowie Trillionen Geschwister, Verwandte und Zwillinge – ach, Hundertlinge – auf der ganzen Welt. Aufgrund meines extrem berühmten Status benötige ich inzwischen zahlreiche Doubles und Stuntmans.

Makler und Immobilienhaie mit viel zu schwerer Brieftasche und gegelten Haaren betreten mich regelmäßig zahnpastalächelnd, aber dennoch ungefragt, um die Preise radikal in die Höhe zu treiben. Nur weil sie die Tür, die seit neuneinhalb Jahren klemmt, einmal mehr falsch oder nicht repariert haben. Bei Wohnungsbesichtigungsterminen warten Menschenmassen wie bei einem Popstar draußen vor der Haustüre auf der Straße, sogar bis ums Eck rum, die ganze Lebensläufe erfunden und sich Picknick für die dreistündige Wartezeit mitgebracht haben. Nur um einen einzigen Blick aus ihrer dämlichen Schlange auf meinen schlangenartigen, astralen Medusenkörper zu erhaschen. Hipster-Schnösel versuchen mich mit ihren Bioprodukten à la Fernwärme und grünen Trend-Wohlfühl-Wandfarben aufzuwerten, während die Omma von einst rücklings aus der Hintertür rauspoltert. Jetzt trinke ich also kein Bier aus Dosen mehr mit Omma Erna. Stattdessen abbaubaren, aber total teuren Kakao, natürlich ganz ohne Zucker. Mit Justus-Lorenz, dessen Eltern zwar ebenfalls schwäbisch, aber zumindest Alt-68er waren und Joints rauchten. Kein Spaß mehr auf der gesamten Linie. Auch für eine anständige Beerdigung von Omma Erna fehlte dem Hipster offenbar die Zeit, sodass ihr toter Körper nun nachhaltig auf dem Komposthaufen gelandet ist, wo er traurig vor sich hindüngt, demnächst als Kuhfutter dienend.

Demonstranten besetzen mich. Obdachlose versuchen in mir zu schlafen. 860.000 Wohnungslose suchen mich in der BRD. Ich bin das begehrteste Fake-Objekt dieser Zeit. Doch, gibt es ein Recht darauf, in mir zu schlafen? Oder ist das alles nur Fiktion? Von staatlicher Seite wird zwar inzwischen versucht, meinen Preis zu deckeln und zu bremsen. Doch auch das beweist: Alle wollen mir nur körperlich nahekommen. Jeder will mir an die Wäsche. Keiner fragt mich mal. Da ich derweil so viele Köpfe und Körperteile habe, habe ich ständig was zu tun, sodass ich an Burn-Out leide. Deshalb kann ich jetzt auch nicht weiterschreiben. Denn gleich kommen vier Architekten, ein Bauteam und ein Fernsehteam eines sogenannten „Reality“-TV-Formates, das mich komplett auf den Kopf stellt. Titel „Staubsaugen, wischen, wienern“. So dass ich, wenn ich nicht schon vorher doof aussah, hinterher noch mieser erscheine. Aber wen interessiert es. Wir sehen uns im nächsten Traum. Yours Fake-Influencer-Wannabe-Flat.


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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

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Rebecca Ramlow

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