Donnerstag, 12. Juli: Die Kölner Kino Nächte blicken mittlerweile schon auf eine hübsche Tradition zurück. Zum 10. Mal bereits werden noch bis zum 15. Juli an den unterschiedlichsten Orten die unterschiedlichsten Filme in der Domstadt gezeigt, um die Vielfalt aus Initiativen, Festivals und Kreativen mit Kölner Hintergrund dem interessierten Publikum geballt vor Augen zu führen. Die dahinterstehende Kölner Kinogesellschaft, repräsentiert durch die Kinobetreiber und Verleiher Dirk Steinkühler und Joachim Kühn, wollte sich für das Jubiläum etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Deswegen kehrte man sozusagen zu den Wurzeln zurück, denn im ersten Jahr der Kölner Kino Nächte fand die Eröffnung in der Philharmonie Köln statt, wo der Stummfilmklassiker „Metropolis“ zu Livemusik aufgeführt wurde. Auch der Eröffnungsfilm der 10. Kölner Kino Nächte, „Shut Up and Play the Piano“ von Philipp Jedicke, bot sich geradezu für eine Premiere in der Philharmonie an. Der Protagonist Chilly Gonzales begeistert am selben Ort regelmäßig zwischen den Jahren mit seinen ungewöhnlichen Klavierkonzerten. Darüber hinaus ist er mittlerweile Wahlkölner, und sowohl die Produzenten als auch die Verleiher und der Regisseur des Films kommen aus der Domstadt, was die Relevanz der hiesigen NRW-Premiere unterstreicht.
Vor fast genau vier Jahren entstand die Idee zum Film, als sich der Produzent Stephan Holl und der Regisseur Philipp Jedicke zufällig in Köln über den Weg liefen und über die geplante Dokumentation ins Gespräch kamen. Holl erläuterte in der Philharmonie, dass es ihm wichtig war, „Chilly Gonzales‘ Geschichte auf neuartige Weise fürs Kino zu erzählen und dabei nach Emotionen zu suchen, um die Zuschauer beim Anschauen zu berühren.“ Antoinette Köster, ebenfalls Produzentin des Films, ergänzte, dass der Film so toll geworden sei, wie er ist, weil er mit Chilly Gonzales einen solch tollen und einzigartigen Künstler in den Mittelpunkt stelle. Noch vor der Projektion dankte Jedicke insbesondere „Chilly Gonzales in absentia, weil ohne dessen Vertrauen der Film so nicht realisierbar gewesen wäre“. Die Zusammenarbeit mit ihm wäre an sich recht einfach und unkompliziert gewesen. Gonzales hätte sich lediglich im Vorfeld ausbedungen, dass keinerlei Privatszenen über ihn in den Film kommen. Da Gonzales auch als einer der Koproduzenten des Films fungierte, sei es ihm darüber hinaus wichtig gewesen, dass er sich im Film wiederfinden könne.
Die Stimmung in der gut besuchten Kölner Philharmonie war nach der Projektion ausgelassen und geradezu euphorisch, da Chilly Gonzales mit seinen Kapriolen alte Fans begeistert und sicherlich viele neue hinzugewonnen hatte. Umso effektvoller geriet die Überraschung, als zum anschließenden Gespräch zwischen Joachim Kühn und Philipp Jedicke plötzlich unangekündigt auch noch Chilly Gonzales selbst hinzustieß. Auf die Frage, wie es für ihn war, mit dem Erstlingsregisseur Jedicke zusammenzuarbeiten, sagte er: „Ich bin selbst auch Anfänger. Das sieht man an meinen Versuchen am Musikkonservatorium oder jetzt bei meinem Abenteuer Film. Ich suche immer nach Anfängern, mit denen ich zusammenarbeiten kann, weil ich lieber so arbeite als mit Hochprofessionellen, bei denen jede Minute durchgeplant ist.“ Im Publikum waren einige Zuschauer verwundert, dass Chilly nach seinen wilden und unkonventionellen Anfängen nun zu einem ernst zu nehmenden Solopianisten herangereift ist. Dazu kommentierte der Künstler: „Früher versprühte ich auf der Bühne einfach nur gedankenlos meine Energie. Heute habe ich viel mehr Bewusstsein über das, was ich tue, und genieße die Breite meiner Emotionen bei meinen Auftritten.“ Obwohl er sich ein Mitspracherecht am Endschnitt des Films vertraglich zugesichert hatte, habe Chilly am Ende eigentlich keinerlei Änderungsvorschläge gehabt, so Regisseur Jedicke. „Meine Gewissheit, etwas herausschneiden zu können, wenn ich es gewollt hätte, hat mein Vertrauen gegenüber Philipp Jedicke geöffnet“, erläuterte Chilly Gonzales weiter. Seinen bundesweiten Kinostart hat „Shut Up and Play the Piano“ schließlich am 20. September – ein Monat, der durch die Veröffentlichung seines neuen Albums „Solo Piano 3“ dann zumindest in Deutschland ganz im Zeichen des Ausnahmekünstlers Chilly Gonzales stehen wird.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24
Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24