Die Atmosphäre der Kölner Philharmonie ist nicht die einer durchschnittlichen Konzertlocation. Teppichboden statt Bierlachen auf PVC, freundliche Frauen in blauen Jacketts statt Muskel bepackte Türsteher und jeder bekommt den Platz, der ihm zugewiesen wird oder den er sich im Vorfeld ausgesucht hat. Nun hat die c/o pop es mal wieder geschafft, elektronische Musik in sonst eher mit klassischer Musik bespielte Räume zu bringen. Dazu gehören nicht nur die Philharmonie, sondern auch der Klaus-von-Bismarck-Saal im WDR-Funkhaus, wo das Brand-Brauer-Frick-Ensemble auftrat, und der Kammermusiksaal des Deutschlandfunks, der gleich an zwei Abenden hochkarätige Gäste hatte.Am Donnerstagabend in der Kölner Philharmonie ist es ein vorsichtiges Annähern verschiedener Welten. Apparat Band und Owen Pallett sind ebenso wie das Publikum sichtlich beeindruckt von der Kulisse, die schon bei der c/o pop vor zwei Jahren The Notwist und das Andromeda Mega Express Orchestra sowie Beirut einlud. Apparat alias Sascha Ring ist diesmal mit seiner eigenen Band unterwegs, die den Elektro-Pop-Künstler mit Schlagzeug, Klavier und Gitarre unterstützt.
Die Bühne der Philharmonie ist sauber abgeklebt, es wurde Schutzteppichboden verlegt. Deshalb hat wohl Owen Pallett die Schuhe direkt ausgelassen und tanzt auf Socken zu seinen mit Live-Loops durchsetzten Songs. Der Kanadier – zuvor bekannt unter dem Namen „Final Fantasy“ – bringt seine klassische Geigenausbildung in Indie-Pop-Sinfonien ein, die dem Publikum die Gänsehaut auf die Arme treiben. Das Stillsitzen fällt so besonders leicht: Man ist ohnehin zu fasziniert, um sich zu rühren. Doch das Knistern im Saal entlädt sich zum Glück noch beim letzten Song. Pallett performt seine Cover-Version von Caribous „Odessa“ zum Abschluss seiner zweiten Zugabe.
Die Gäste und das Personal der Philharmonie begegnen sich mit Scheu und Freundlichkeit. Hilfe, die Jugendlichen kommen? Schließlich ist das Durchschnittspublikum der Philharmonie weit älter, die Locations für Popkonzerte dagegen weit unempfindlicher. Da kann schon mal ein Glas fallen. Hier passt man natürlich ganz besonders auf. Keiner weiß also so recht, mit der neuen Situation umzugehen. Dennoch spürt man, dass die Philharmonie sich langsam in Richtung populärer Musik öffnet und somit auch junges Publikum ansprechen will. Dies zeigt sich bereits an ihrem Programm.
Am Freitag wird es dann cineastisch auf der c/o pop. Denn nicht nur Konzerte sind im Programm des Festivals vorhanden, sondern auch ein Film – gezeigt vom Museum für Angewandte Kunst, wo ab dem 30. Juni auch die Sommerberlinale stattfindet. Dokumentarfilme über Musik, so genannte Rockumentaries, erfahren gerade einen unglaublichen Zuspruch. Große Regisseure, wie Martin Scorsese (No Direction Home – Bob Dylan 2005, Shine a light 2008) haben sich längst dieses Genre zu eigen gemacht. Aber auch kleine Bands und Newcomer, wie etwa 1000 Robota in „Utopia Ltd.“ von Sandra Trostel können so ihren Platz in der Popkulturgeschichte verfestigen. Die dänische Band Efterklang wollte selbst an Konzept und Dreh beteiligt sein und so fusionierten sie mit dem französischen Filmemacher Vincent Moon.
Herausgekommen ist der experimentelle Dokumentarfilm „An Island“. Experimentell, weil der Zuschauer nicht an die Hand genommen wird, ihm wird nichts erklärt. Vielmehr ist der Film ein Gefühlserlebnis durch die Komposition von Bildern und Musik. Moon begleitet die Bandmitglieder auf ihrer Reise zu einer unbenannten kleinen dänischen Insel. In der Provinz nehmen sie Geräusche auf, spielen Konzerte in Scheunen und Schulturnhallen. Die dort lebenden Kinder, Jugendlichen und Älteren werden immer in die Musik miteinbezogen und gestalten sie mit. Das sehr präsente und ausgefeilte Sounddesign ist die große Stärke des Films und lässt die träumerischen Bilder zuweilen etwas verblassen. Dennoch ist „An Island“ eine wunderbare Einstimmung auf die dritte c/o pop-Nacht.
Am Samstag ist ausnahmsweise mal nicht der Brüsseler Platz der „Place to be“ im Belgischen Viertel. Das mag auch am Regen liegen und doch tummeln sich die Menschen vor den Geschäften. Die c/o pop lädt zusammen mit Chic Belgique in die Läden ein, um Musik zwischen Designermode und Klimbim zu genießen. Im Blauen Montag in der Limburger Straße warten alle gespannt auf eine Kölner Neuentdeckung. Das Projekt Tourist gibt es erst ein halbes Jahr, aber das Duo hat schon ein ganzes Set dabei: „A Night to Escape“. Eine Mischung aus Detroit-Techno und Singer-Songwriter – klingt erstmal komisch, funktioniert aber gut. Die Zuschauer im Blauen Montag stehen eng gedrängt, einige müssen das Konzert von draußen durch das Schaufenster verfolgen. Das klappt nur mäßig, denn nach den ersten drei Liedern beschlagen die Scheiben. Und auch wenn Sängerin Inky Timez zwischendurch mal Sichtfenster hineinwischt, verpasst man natürlich ihre ekstatischen Moves und ihren Ausdruck im Gesicht. Das ist zwar schade, aber zum Glück ist der Abend noch nicht vorbei.
Im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks geht es um 22 Uhr unter den Labels Dradio Wissen und Introducing weiter mit den Kölnern MIT und den gerade groß gefeierten Kanadierinnen Austra. Leider eine der wenigen Frauenbands auf der sonst doch arg testosteronlastigen c/o pop. Aber erstmal zurück zu den Lokalmatadoren, die aus ihrem aktuellen Album „Nano Notes“ spielen. Leider kommen die Beats ein bisschen zu breit und der Gesang zu leise rüber, was die ansonsten überzeugende Show etwas abwertet. Bei Austra dagegen sind die Regler dann wieder richtig eingestellt. Sängerin Katie Stelmanis lässt ihre Wahnsinnsstimme im gesamten Saal erklingen, die von ihren beiden Sängerkolleginnen und Synthesizer-Sounds begleitet wird. Uns so geht das Publikum versöhnt und wieder freundlich verabschiedet vom Aufsichtspersonal in die Nacht hinaus.
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