Es ist eins dieser Jubiläen, die man verpasst, weil man einfach nicht glauben will, dass die Zeit so schnell vergehen kann. Kompakt, die Kölner Techno-Institution, ist dieser Tage 20 Jahre alt geworden. Zwar fand die große Geburtstagssause schon Anfang März in der Schaltzentrale statt, wo außer dem Label noch eine Booking Agentur, Vertrieb und Plattenladen sowie die Studios und Wohnungen vieler Kompakt-Künstler ihr Zuhause gefunden haben. Aber 2013 ist auch das Jahr, wo man sich auf Kompakt ein wenig von der reinen Lehre der geraden Bassdrum verabschiedet.
Den Anfang macht das Gebrüderpaar Reinhard und Wolfgang Voigt. Beide hatten Kompakt 1993 als Zweigstelle des Frankfurter Plattenladens Delirium mitbegründet, und danach sind sie ihre eigenen Wege gegangen. Wolfgang betrieb unter seinen Pseudonymen Mike Ink und GAS Techno mit Referenz, machte sich als bildender Künstler einen Namen und war in den Nullerjahren lange als A&R für Kompakt tätig. Seine letzten Releases als Solokünstler widmen sich der Erforschung des Klaviers oder übersetzen die Stimme Franz Kafkas in den Kontext elektronischer Musik. Reinhard Voigt übernimmt mittlerweile die Arbeit im Hintergrund von Label und Vertrieb, ist aber lange als Techno- und Ambientproduzent rund um die Welt aufgetreten. Reichlich betriebsam ist das Brüderpaar also, trotzdem haben sie in den letzten Monaten immer wieder Zeit gefunden, in ihr Kellerstudio zu gehen und sich von den Helden ihrer Jugend inspirieren zu lassen. Entstanden ist dabei „Die wunderbare Welt der Anderen“, eine Hommage an die Zitatpopper von Scritti Politti, Prefab Sprout und ABC oder den Soul-Pop von George Michael. Über den recht straighten Electrobeats liegt mal ein Gitarrensample, dann mal eine Flöte und immer eine leichte Schicht Nostalgie, die aber niemals melancholisch wirkt, sondern historisierend. Es ist ein Soundtrack zu einem Köln, das längst nicht mehr existiert, wo am Tresen lange über Platten diskutiert wurde und darüber Freundschaften zerbrechen oder – noch viel häufiger – entstehen konnten. So ist „Die wunderbare Welt der Anderen“ dann auch ein strukturiertes, abwägendes Album geworden, das die Unmittelbarkeit der Clubnacht gegen die nostalgische Erinnerung an die Glanzzeit des Diskurspop eintauscht.
Auf der Tanzfläche zu Hause sind dagegen Marius Bubat und Georg Conrad aka Coma, deren Debüt „In Technicolor“ gut fünf Jahre nach ihrem ersten Liveauftritt erscheint. Tatsächlich hört man dem Debüt der beiden ihre Indie-Vergangenheit an – und das ist ausnahmsweise mal ein Kompliment. Die Strophen und Refrains ihrer instrumentalen Songs tarnen sich als Dancetracks, können aber niemals so richtig verbergen, dass sie später einmal als Popsongs in die weite Welt hinaus möchten. Die Synthesizer schlagen wenig Haken, sondern spielen kleine Melodien, zwischendurch wird ein wenig ins Mikro gehaucht. Seinen Charme erzielt „In Technicolor“ aber durch seine Unschärfe. Anstatt ihre Loops messerscharf in das Diktat der Software einzupassen, lassen Coma sie aus dem Ruder laufen und erzeugen so den eigentümlichen Groove, der immer an ein Post-Punk-Konzert erinnert und damit an einen Anspruch Kompakts von Beginn an – unabhängig zu sein.
Voigt & Voigt: „Die wunderbare Welt der Anderen“ | Coma: „In Technicolor“ | beide erschienen auf Kompakt | www.kompakt.fm
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