Köln und Düsseldorf sprechen über die Zusammenlegung ihrer Opernhäuser; Bonn möchte auch gleich mit ins Boot; das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin ist bedroht; alle Häuser ächzen unter der überzogenen Tariferhöhung des öffentlichen Dienstes – die Hiobsbotschaften verschärfen sich. Nichtsdestotrotz bleiben die schwerfälligen Strukturen an Theatern, an denen 90 Prozent der Etats für festangestellte Mitarbeiter und gerade einmal zehn Prozent für die Kunst aufgewendet werden, weitgehend unangetastet.
In Bochum arbeitet Intendant Anselm Weber seit fast zwei Spielzeiten unter dem Motto „Boropa“ mit einer aus Polen, Finnland, Tunesien oder der Türkei zusammenengagierten Regieriege zusammen. Dieser europäisierte Spielplatz sorgt sowohl für ästhetischen Pluralismus und hat dem Haus geholfen, vom Karussell der deutschen Regiegroßmeister abzuspringen. Es könnte aber auch noch eine andere Frage beantworten. „Wie kann man diesen Riesendinosaurier Schauspielhaus für die Zukunft ausrichten, so dass er flexibler auf einen neuen Kulturbegriff antworten kann“, formuliert Anselm Weber als Aufgabenstellung. So sei der holländische Regisseur Paul Koek, der gerade Tschechows „Drei Schwestern“ inszeniert hat, aus Leiden gewohnt, dass ein Technikteam eine Produktion erarbeitet, und dass Veranstaltungstechniker neben der Bühnentechnik auch Licht und Ton bedienen – was im deutschen Schichtsystem mit seinen Techniksparten nicht der Fall ist. Für die kommende Spielzeit plant das Bochumer Haus, eine „Moby Dick“-Produktion mit einem deutsch-holländischen Ensemble zu realisieren, die anschließend ins niederländische Gastspielsystem eingespeist werden soll.
Schwierigkeiten bereitet europäischen Regisseuren auch das deutsche Repertoiresystem mit seinen abendlich wechselnden Vorstellungen. Der polnische Regisseur Jan Klata, der neben Kafkas „Amerika“-Roman nun Schillers „Die Räuber“ inszeniert hat, wartet mit einem drastischen Vergleich auf: „Ich fühle mich nicht als Künstler, sondern wie in der Fleisch verarbeitenden Industrie: Jemand geht raus, ein anderer kommt rein.“ Theater als Fließbandbetrieb.
Die Reibungsenergie beim Kampf mit dem System sei hoch, sagt Intendant Anselm Weber, der Erfolg hänge auch von der Persönlichkeit des Regisseurs ab. So habe Fadhel Jaibi das Bochumer Haus an den Rand des Kollabierens gebracht. Er ließ die Schauspieler für seine „Medea“-Adaption sechs Wochen (von insgesamt drei Monaten Probenzeit) ausschließlich improvisieren und entwickelte daraus die Stückfassung. Die Proben dauerten von 10 bis 18 Uhr, das Ensemble hatte komplett anwesend zu sein. „Er hat versucht“, sagt Weber lächelnd, „uns sein tunesisches System maximal aufzuzwingen.“ Auch wenn sich die deutschen Theaterstrukturen nur schwer verflüssigen lassen, der Intendant sieht erste Veränderungen im mentalen Bereich: So entwickelten vor allem Mitarbeiter in den Licht-, Masken- und Kostümabteilungen zunehmend individuelles Verantwortungsgefühl für Produktionen. Die europäische Injektion, die Regisseure, aber auch Intendanten wie Johan Simons in München oder Staffan Valdemar Holm in Düsseldorf dem deutschen Stadttheater verpassen, dürfte den Prozess beschleunigen.
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