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A Day Cage: Nothing Company
Foto: Gabi Vogt

In den Oasen der Wirklichkeit

01. Januar 2009

Rückblick auf das Kölner Festival "Echt" - Theater in NRW 01/09

Theater sind selten visionär. Langfristige Spielpläne und die Schreibdauer von neuen Stücken machen schon Aktualität oft zu einem müßigen Unterfangen. Manchmal gelingt es aber doch. Bereits 2007 brachte die Schweizer Gruppe Far A Day Cage ihr Stück „Nothing Company“ über einen Konzern heraus, der nur noch das Versprechen des Produkts verkauft: eben das blanke Nichts. Am Ende platzt die große Nothing-Blase, und das Finanzsystem kollabiert.

„Nothing Company“, das beim Festival Politik im Freien Theater in Köln gastierte, ist ein Symptom für ein schon länger zu beobachtendes Interesse des Theaters an der Realität. Auslöser waren ausgerechnet die Ironie- und Poppirouetten der 1990er Jahre. Dabei wurde zwar der Blick für die Zeichenformen des Theaters geschärft, doch das Kreisen im Hamsterrad der Simulationsdebatten machte neue Lust auf die Wirklichkeit. An die Widerspiegelung des Realen glaubt heute allerdings niemand mehr. Der Reiz liegt vielmehr im fliegenden Wechsel zwischen Authentizität und Fiktion, der gerne durch die Arbeit mit Laien forciert wird. So stellte die Gruppe Hofmann & Lindholm in der Video-Installation „Serie Deutschland“ historische Ereignisse der BRD mit Normalbürgern nach und hinterfragte dabei sowohl unsere medial geprägten Geschichtsbilder wie den Begriff der Repräsentation. Andererseits erreicht das Theater in Constanza Macras Choreographie „Hell on Earth“, die mit Jugendlichen aus Berlin-Neukölln arbeitet, einen Grad sozialer Unmittelbarkeit, den es so selten hat.

Die Beimischung realer Geschmackverstärker auf der Bühne ist der eine Weg. Der Regisseur Jörg Lukas Matthaei trieb die Theaterbesucher lieber gleich auf die Straße. Seine Produktion „Kurz nachdem ich tot war“ kam als dreistündige Schnitzeljagd auf den Spuren eines fiktiven Kölner Lebenslaufs daher. So groß der Wirklichkeitshunger vieler Gruppen ist, er ist meilenweit vom Dokumentartheater der 1960er Jahre entfernt. Die ideologische Gewissheit und moralische Überheblichkeit von Autoren wie Peter Weiss oder Rolf Hochhuth sind heutigen Theatermachern fremd. Sie wissen, dass jede Doku nur eine weitere Interpretation von Wirklichkeit liefert. Doch sie wissen auch, dass deshalb noch nicht alles dem Verdikt der subjektiven Meinung anheim fällt. Der Unterschied ließ sich am deutlichsten an dem Stück „Kamp“ der Gruppe Hotel Modern ablesen. Im Gegensatz zum Objektivitäts-Pathos von Peter Weiss’ „Ermittlung“, zeigt die holländische Gruppe einen Tag im KZ Auschwitz mit Hilfe von daumengroßen Püppchen in einem Lager-Modell, die mit der Kamera gefilmt werden. Durch die Distanz des Figurentheaters wird das Grauen überhaupt erst darstellbar; die Filmbilder ‚entlarven’ das Gezeigte zugleich als mediale Aufbereitung des Holocaust. Die Arbeit mit Laien, das Ausgreifen in den Stadtraum, der Verlust ideologischer Gewissheit, die Frage nach den Formen der Repräsentation – der theatrale Hunger nach Realität ist unverkennbar, und er dürfte in den Zeiten der Krise eher noch größer werden.

Hans-Christoph Zimmermann

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