Moers und Mülheim liegen sowohl geographisch wie im Alphabet relativ nah beieinander. Das ändert sich diesmal gravierend im Juni, wenn beide Kulturstädte sich dem Thema Jazz zuwenden: Moers punktet hier mit dem 40. Jubiläumsfestival, Mülheim folgt abgeschlagen mit dem 20. Geburtstag ihres Jazzwochenendes – zwei runde Wiegenfeste also. Ein Abgrund, tiefer als der Marianengraben, liegt allerdings zwischen den Inhalten dieser Festlichkeiten. Der klassische Moerser Festivalgast mit Eintrittskarte und der beschwingte Jazzliebhaber der Mülheimer Riverboat-Shuffle ab dem Wasserbahnhof haben nicht viel gemeinsam. Während in Mülheim zum Frühschoppen blitzsaubere Fingernägel die Biertischplatte massieren, verrichtet der Moerser Camper, verkatert mit kleinen Augen, im Moersbach seine Notdurft. Die Liebe zum Jazz verbindet diese Menschen ähnlich der Liebe zum Essen – auch da spreizt sich das Korn vom Weizen.
Es ist auch die alte Geschichte vom Sucher und vom Bewahrer. Während Moers neue Trends aufspüren will und die Ohren aufstellt, wo was gerade entsteht oder angesagt ist, setzt Mülheim nach einem möglichen Begrüßungsdrink „Kir Ruhrtal“ – ein Brüller, da bleibt auch das Auge nicht trocken – auf gediegene musikalische Kost: Barbara Dennerlein steppt auf dem Vollpedal ihrer Hammondorgel, die Allotria Jazzband begleitet die Swingdiva Beverly Daley auf den Spuren Ellas, und Engelbert Wrobel stimmt die Ode an „The Joy of Swing“ an. Die Damen und Herren beackern ihre Felder fraglos ordentlich.
In Moers, ein Festival, das schon vielen Stürmen trotzen musste, wurde in der letzten harten Schlacht um die Finanzen ein Bein ausgerissen. Das traditionsreiche Pfingstfest verzichtet in seinem internationalen Programm erstmals auf den Montag, der in diesem Jahr von dem Jazzklamauker Helge Schneider zu „Helges Heimatabend“ umgestaltet wird. Das passt als Show in ein sicherlich gerammelt volles Zirkuszelt im Stadtpark. Reiner Michalke, der aktuelle Zirkusdirektor der exotischen Jungen und alten Wilden, lud zum runden Fest Heroen der Moersgeschichte neben aktuelle Projektkünstler verschiedener Stilistik. „New Liberation“ verspüren die Isländer nach dem Zusammenbruch der Banken, da gerät der Jazz, also die Kultur, in den Aufwind mit der Gründung eines Orchesters. Das wird den Star Abdullah Ibrahim nicht aus der Ruhe bringen, er meditiert mit seinem Volk über Eingebungen, die er in einem kleinen Buch notiert hat. Nils Petter Molvaer bläst elektronisch verfremdeten Nordwind durchs Horn. Jon Irabagon sorgt in den Staaten für Aufsehen als Preisgewinner und Saxophonist mit eigener Vorstellung, er besucht Moers mit dem Altvorderen Barry Altschul an den Trommeln. Vor dem Duo „Orthrelm“ warnt schon das Programmheft, da könnten Ohrstopfen benötigt werden. Auch Ronald Shannon Jackson zählt hinter dem Schlagzeug zu den erbarmungslosesten Raubtieren seiner Art. Verlaufen hat sich dagegen die Saxophonistin Tia Fuller mit ihrem Quartet, denn sie möchte keine Traditionen killen – sie spielt Jazz mit Akkorden und Melodien. Und wenn am Schluss zur Musik des Fela Kuti-Sohnes Seun das Tanzbein geschwungen wird, dann haben die Fans in Moers im Schnelldurchgang von drei Tagen doch wieder alles Wichtige gehört – beim 40. Moers Festival.
40. Moers Festival I 10.-12.06., am 13.06. folgt Helges Abend 028 41 367 36 75
20. Internationales Jazzfestival “Jazz an der Ruhr” I Schloss Broich, Mülheim a. d. Ruhr I 17.-19.06. I 0208 96 09 60
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