Es war ein schöner Gedanke, dass der Jazzdinosaurier Paul Kuhn die Jazztage in Leverkusen mit einem fetten Orchester und Gästen aus seiner Laufbahn als Feier zum 85. Geburtstag eröffnen sollte. Und es diente der Beruhigung, dass als Highlight des Festivals ein junger Mann, rund 50 Jahre jünger als Paulchen, dem Jazz neben Glamour auch eine Prise Frische und Jugendlichkeit einhauchen kann. Kuhn, der in der Schweiz verstarb, wurde am Rhein herzlich verabschiedet. Und Jamie Cullum, so heißt der aktuelle Star unter den singenden Pianisten, die auch Jazz spielen können, lässt derweil in der Farbenstadt die Kasse klingeln.
Tickets für den smarten Briten gibt es – wenn überhaupt noch – nur im Kombipacket mit anderen Terminen. „Willst du deinen Jamie sehen, musst du auch zu Holly und Randy gehen“, könnte sich jetzt der Musikfreund denken. Aber die popige Holly Cole und die strahlende Randy Crawford mit Altvater Joe Sample, dem Erfinder von „Street Life“, liefern gemeinsam eine sicher lohnende „Woman‘s Night“. Und wer zusätzlich noch den Roger Cicero bucht, erhält sich noch länger den Zugriff im Rennen um die Jamie-Tickets. Roger musste versprechen, nur englische Titel zu singen, erzählte Festivalmacher Eckhard Meszelinsky im Vorfeld. Dabei singt er doch ganz knackige deutsche Texte. Cicero teilt sich den Abend, der witzigerweise „Made in Germany“ heißt, mit „Schmidt“, die sogar als Vorgruppe des britischen Brillensammlers Elton John, Dianas Kerzensänger, vor einem Jahr eine Arena-Tour absolvieren durfte. Die Berlinerin wurde von Meszelinsky „zufällig im Fernsehen gesehen“ und direktemang engagiert. Wir sind gespannt auf „Pop Noir“, so nennt sie ihren verführerischen Cocktail.
Echten modernen Jazz präsentieren Medeski Martin & Wood, ein amerikanisches weißes Trio, das in mehr als zwanzig Jahren eine anspruchsvolle weltweit verstreute Fangemeinde gewinnen konnte. An ihrem Abend trifft die WDR Big Band unter Leitung von Vince Mendoza auf die Chano Dominguez Group, die sich dem Duende und dem Flamenco verschrieben hat – ein Fest für lodernde Improvisation und zündende Rhythmen.
Ansonsten punktet das Fest mit Funky-Stuff und fetziger Fusion. Den ersten Samstag besorgen Dauerbrenner wie Incognito und Shakatak, sonntags fegt dann die niederländische Supersaxophonistin Candy Dulfer die Reste zusammen. Etwas Besonderes bietet die SWR Big Band bei ihrem Projekt mit dem brasilianischen Sänger Ivan Lins: gute Laune Musik der besten Art, die in die Hüften geht. Ein ganzer Konzertblock widmet sich traditionell dem E-Bass, der niederfrequenten Rhythmuspumpe im Funk. Marcus Miller, Larry Graham und Victor Bailey bringen das Leverkusener Forum in Schwingung. Und Superdrummer zieren entsprechend die Besetzungsliste: Steve Gadd kommt mit Bob James und dem Alto-Star David Sunborn. Die rassige Drummerin Cindy Blackman Santana, die Braut von Carlos, schlägt gewohnt gewaltig auf. Und der sanft-brillante Omar Hakim massiert die Snare im eigenen Quartett.
Es ist jede Menge los, auch in den Clubs und in manchen Kneipen. Im Forum werden wohl die meisten Termine ohne Bestuhlung ausgetragen, bequeme Schuhe entsprechen dann der Minimalanforderung. Rechtzeitige Anreise ist empfohlen, denn die Parkhäuser platzen zügig. Und die Politessen sind willig.
34. Leverkusener Jazztage I 8.-17.11. I Hauptbühne im Forum Leverkusen I www.leverkusener-jazztage.de
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