„System change not climate change“, steht auf einem der vielseitig gestalteten Schilder, und das ist genau die Forderung mit denen 70.000 Menschen beim „Klimastreik“ in Köln auf die Straße gehen, fast dreimal so viel wie erwartet. „Wir sind zu viele, bitte verteilt euch die Venloer Straße entlang und auf dem Gürtel“, wiederholen die Sprecher der Streikveranstalter mit Megafon, mit einer Mischung aus Euphorie und Überforderung um 11 Uhr morgens am Hans-Böckler-Platz. Mit einem Vorlauf von 12 Stunden sind bereits 300.000 Menschen in Australien auf die Straße gegangen, Hunderttausende weitere in 120 Ländern darunter Neuseeland, Indien, den Philippinen, Südafrika und die USA. In Deutschland folgen am Freitag 1,4 Millionen Menschen dem Aufruf der „Fridays for Future“-Bewegung, während zugleich das Klimakabinett in Berlin darüber verhandelt, wie Deutschland seine Klimaziele aus dem Pariser Abkommen bis 2030 erreichen kann.
Die Plakate und Rufe der Demonstranten senden eindeutige Botschaften: Die Mittel zur Umsetzung der Klimaziele sollen erhöht werden, die Maßnahmen drastischer sein. Um die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, wird an die Regierung appelliert, auch auf das Konsumverhalten der Menschen einzuwirken.
Aus unterschiedlichen Richtungen und Social-Media-Kanälen sickern nach und nach die ernüchternden Ergebnisse des Klimakabinetts durch: Die von Fridays for Future geforderte CO2-Steuer von 180 Euro pro Tonne ist auf ein Einstiegsniveau von 10 Euro heruntergehandelt worden. Die Bedingungen für den Ausbau von Wind- und Solarenergie sind als Resultat des Klimakabinetts sogar erschwert worden. Die Mehrwertsteuer für öffentlichen Fernverkehr soll von 19% auf 7% heruntergesetzt und der Kauf eines klimafreundlichen Elektroautos staatlich unterstützt werden. Alle Vorhaben und Maßnahmen sollen ohne neue Schulden finanziert werden, erklärt Finanzminister Olaf Scholz.
Bei allem spürbaren Unmut in Köln ist es ein sehr friedlicher Zug, der sich durch die Innenstadt bewegt. Dabei wird einem an jeder Straßenecke die Diskrepanz zwischen den Forderungen und dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Status quo vor Augen geführt: Plakate wie „Billigzüge statt Billigflüge“ werden vorbeigetragen an großen Werbetafeln für Flüge nach Madrid, die günstiger sind als ein Bahnticket von Bonn nach Düsseldorf. Forderungen nach weniger „Fast Fashion“ ziehen an den Schaufenstern von H&M und Zara vorbei. Am Straßenrand geparkte SUVs werden als „Klimasünder“ gekennzeichnet.
Doch wird nicht nur mit dem Finger auf andere gezeigt: „Wir wissen, dass wir in unseren eigenen Gewohnheiten und angeeigneten Lebensstandards teilweise gefangen sind, aber genau deswegen fordern wir drastische Maßnahmen von oben ein, die uns zwingen, kollektiv zu verzichten und unser Leben von Grund auf zu ändern“, sagt eine Studentin aus dem „Students for Future“-Block.
Die Demo lässt erkennen, dass was als Klimabewegung von Schülergruppen als „Fridays for Future“ begann, sich mittlerweile auf alle Alters- sowie Berufsgruppen ausgeweitet hat: von Scientists for Future über Parents for Future, politisch engagierten Gruppierungen wie Extinction Rebellion bis zu Antikapitalisten, Antimilitaristen, der Antifa, FeministInnen und Gewerkschaften sind alle vertreten. Die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg bezeichnete in New York den weltweiten Klimastreik als „nur der Anfang“ und als einen möglichen „Wendepunkt“. Der „größte Klimastreik der Gesichte“ sei ein wichtiges Signal für den UN-Klimagipfel, der am Samstag begonnen hat.
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